Wenn es gilt, sich unter das Joch einer patriotischen Pflicht zu beugen, macht einem Kickl keiner was vor. Um eine solche soll es sich nach ihm mit der Präsentation eines Gegenkandidaten zu Alexander Van der Bellen handeln. Mittwoch ließ er seinem Patriotismus freien Lauf, indem er verkündete, dass es mit dessen Konkretisierung in Gestalt einer willigen Person keine Eile habe. Gewiss ist der letzte Termin dafür noch nicht verstrichen, aber von einer Hofburgwahl zur nächsten waren sechs Jahre Zeit, unter der Schar bestqualifizierter Freiheitlicher den Geeignetsten auszuwählen. Kann auch die Geeignetste sein. Die offensichtliche Unfähigkeit zu einer solchen Vorsorge nun als gesteigerte Vaterlandsliebe verkaufen zu wollen gehört zu den Pflanzereien der Öffentlichkeit, die Kickl für witzig hält, seit er vom Pferd steigen musste.

Worauf wartet Kickl?

Er wolle mit der Präsentation der Kandidatin, des Kandidaten noch warten, "bis wir alle Informationen haben". Welche Informationen sollten es denn noch sein, die entscheidenden Einfluss auf die Auswahl der blauen Persönlichkeit haben könnten, wo es doch ohnehin vor allem darum geht, den zu prolongierenden Bundespräsidenten mit einem "vitalen Vertreter der Bevölkerung" zu überbieten, weil man sich auf dem Gebiet des Intellekts und der Erfahrung ohnehin keine Chancen ausrechnet. Es wäre einigermaßen seltsam, hinge die Auswahl des Kandidaten davon ab, ob der Wahltermin eine Woche früher oder später liegt oder ob der Chef der Bierpartei antritt oder nicht.

Nicht drin, nicht draußen... FPÖ-Chef Herbert Kickl ist noch unentschlossen.
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Was vitale Vertreter der Freiheitlichen anzurichten imstande sind, wenn sie in staatliche Positionen gelangen, wurde parallel zu Kickls Auftritt vor dem Gericht demonstriert, vor dem sich Vitalist Strache wegen parteipolitischen Postenschachers und verdeckter Parteispenden zu verantworten hat. Etwas weniger vital, und er könnte heute als freiheitlicher Präsidentschaftskandidat seinen Patriotismus ausleben.

Die Vergesslichkeit als Hoffnung

Wenn die FPÖ von Patriotismus spricht, muss man das als gefährliche Drohung verstehen. Und wenn sie vorgibt, das Wohl der Bevölkerung im Auge zu haben, braucht man nur ihre Leistungen in der Regierung Kurz I Revue passieren zu lassen. FP-Chefs setzen immer auf die Vergesslichkeit der Wählerinnen und Wähler, Kickl hat diesbezüglich nichts Neues zu bieten.

Mit seinen Tiraden schadet er jeder Kandidatin, jedem Kandidaten, wen immer er aus dem Hut ziehen wird. Die Wendung ins Groteske, die die blaue Kandidatenfindung mit der Nennung eines Krone-Kolumnisten genommen hat, kann die ebenfalls genannte blaue Klubobfrau nicht erheitern. Und wenn schon einen Kolumnisten der Kronen Zeitung, dann bitte doch Michael Jeannée! Der arbeitet dort schon viel länger und hätte es sich verdient, dass dieser Tassilo-Kelch an ihm vorübergeht. Was Wallentin dort verzapfen darf, macht Andreas Mölzer in Zur Zeit seit Jahren und sauberer, weil er sich nicht auf Unabhängigkeit beruft. Dass Kickl eine Berufung Wallentins als "Breaking Schmus" abtat, ist nur mit den strengen FP-Transparentregeln zu erklären, die statt des Kandidaten präsentiert wurden. Noch ist das schwer verspätete Regelwerk ein Beispiel untätiger Reue nach Strache. Kickl erklärte sich damit zum "gläsernsten Parteiobmann, den die FPÖ je hatte". Wer hebt nach ihm die Scherben auf? (Günter Traxler, 10.6.2022)