Das Wattenmeer vor Dänemark, Deutschland und den Niederlanden gilt als Drehscheibe des ostatlantischen Vogelzuges. Nicht nur ist es Heimat zahlreicher Vogelarten, Millionen Vögel aus der Arktis fressen sich in diesen nahrungsreichen Küstengebieten Energie für ihren Weiterflug nach Afrika an. Auf dem Rückweg sind die von der UNESCO ausgezeichneten Feuchtgebiete eine mindestens ebenso wichtige Zwischenstation. Diese Biotope drohen allmählich buchstäblich unterzugehen.

In Nordwesteuropa wird der steigende Meeresspiegel mittlerweile schon zu den Hauptbelastungen gezählt, teilte das Gemeinsame Wattenmeersekretariat in Wilhelmshaven kürzlich anlässlich der Veröffentlichung ihres Untersuchungsberichts mit. Die Studie basiert unter anderem auf Zählungen, die alle drei Jahre bei den Zugvögeln entlang ihrer ostatlantischen Zugstrecke durchgeführt werden. Die Beobachtungen geben Aufschluss über die Populationen, aber auch über Einflüsse auf ihre Lebensräume. Mit Sorge blicken Forscher dabei auf den Klimawandel.

Ringelgänse (Branta bernicla) sind im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer sogenannte Rastvögel. Sie brüten nicht im Wattenmeer, sondern rasten hier im Frühjahr und im Herbst. Ihre Nester bauen sie hauptsächlich auf der Taimyr-Halbinsel an der Küste Nordsibiriens.
Foto: Martin Stock/LKN.SH

Extreme Wetterereignisse

Der weltweite Klimawandel habe auf die meisten Küstengebiete Einfluss, sagte Kristine Meise, Programmleiterin Zugweg und Biodiversität des Wattenmeersekretariats. Im Wattenmeer etwa würden neben dem Meeresspiegelanstieg zunehmend extreme Wetterereignisse wie Starkregen und Stürme den Vögeln bei der Rast und Brut zusetzen.

Auch im Hauptüberwinterungsgebiet vor Westafrika seien die Folgen des Klimawandels, etwa durch Erosion an den Küsten, für Zugvögel bereits zu spüren, sagte Meise. Andere Faktoren wie Überfischung, Schiffsverkehr und Holzeinschlag haben der Studie zufolge dort aber noch größeren Einfluss.

Die Einschätzungen zu den Lebensraumbelastungen sind Teil des Ende April veröffentlichten Untersuchungsberichts. Bei dem Projekt werden seit 2014 alle drei Jahre Zugvogelpopulationen entlang des ostatlantischen Vogelzuges gleichzeitig gezählt. An der letzten Zählung 2020, deren Ergebnisse nun vorliegen, waren mehr als 13.000 Menschen in 36 Ländern beteiligt.

Aber auch viele Arten nennen das Wattenmeer ganzjährig ihr Zuhause. Hier ist es ein Rotschenkel (Tringa totanus) im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.
Foto: Martin Stock/LKN.SH

Schwierige Zählbedingungen

Solche regelmäßigen Zählungen seien wichtig, um Veränderungen in den Populationen frühzeitig zu erkennen, sagte Meise. "Die Schwierigkeit besteht darin, dass ein Zugvogel in der Regel nicht an einem Ort bleibt – und manchmal ändert er auch seine Flugroute. So kann es sein, dass die Anzahl der Vögel einer bestimmten Art im Wattenmeer sinkt, global gesehen der Bestand aber stabil bleibt oder sogar steigt." Um den globalen Bestand zu messen, müssten daher alle Orte, an denen die Vögel vorkommen können, gleichzeitig erfasst werden.

Die letzte Zählung ergab, dass 2020 im Vergleich zu Beobachtungsdaten, die mehrere Jahrzehnte zurückliegen, bei der Hälfte der insgesamt 83 beobachteten Zugvogelpopulationen die Bestände zunahmen. 16 Prozent der Populationen waren stabil, bei 30 Prozent verzeichneten die Forschenden eine Abnahme – etwa bei Watvögeln, die in der sibirischen Arktiks brüten.

Sinkender Bruterfolg

Eine mögliche Erklärung dafür seien sich ändernde klimatische Bedingungen, sagte Meise. "Die Zugvögel haben sich über Jahrtausende an bestimmte Zeiten angepasst." Durch den Klimawandel beginne der Frühling und damit die Schneeschmelze und der Schlupf von Insekten in der Arktis aber früher. Für die Brut und Aufzucht von Jungvögeln ergäben sich dadurch schlechtere Bedingungen, erklärte Meise. Dies könne einen Rückgang beim Bruterfolg erklären.

Um Bedrohungen entgegenzuwirken und Zugvögel zu erhalten, nennen die Autoren des Berichts als zentrale Maßnahmen den Schutz bevorzugter Vogelstandorte und die nachhaltige Bewirtschaftung von Lebensräumen. (red, APA, 18.6.2022)