Das Loch im Mittelkreis war immerhin nicht von Dauer. Was im Happel-Stadion bleibt, ist Stimmungslosigkeit ob der Distanz der Ränge zum Feld.

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EM 2021: Werner Kogler in der feinen Cruyff-Arena zu Amsterdam, als die Niederlande Österreich 2:0 schlug.

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Böses Gerücht: Erst am Montag, als Österreichs Fußballteam in Kopenhagen gastierte, sollen sich vor den Tresen und Buffets im Wiener Ernst-Happel-Stadion die Warteschlangen vom Freitagsspiel gegen Frankreich aufgelöst haben. Doch die absurde Verpflegungssituation in der größten Arena das Landes ist längst nicht ihr einziges Problem. Man denke an die Laufbahn-bedingte Distanz zum Spielfeld, welche die Atmosphäre oft schon im Keim erstickt. Kein Vergleich zur Stimmung in modernen Stadien – und da haben wir noch nicht über den eigentlichen Betrieb oder über das Spielfeld gesprochen.

Auch dieser Zustand ist ein Zustand, auch er trat in der Vorwoche zutage, als nach einem Stromausfall das Notstromaggregat nicht funktionierte. Das Spiel gegen Dänemark begann mit 90-minütiger Verspätung und endete mit der Entdeckung eines gut zwanzig Zentimeter tiefen, durch aufstrebendes Grundwasser verursachten Lochs im Mittelkreis. Kein Wunder, dass wieder einmal Rufe nach einer modernen, multifunktionalen Arena laut wurden, die das Happel-Stadion ersetzen soll. Und kein Wunder, dass der ÖFB daran denkt, künftig öfter in Stadien in anderen Bundesländern auszuweichen. Damit ginge zwar ein erheblicher Verlust aus Ticketeinnahmen einher, doch der wäre das geringere Übel im Vergleich mit einer möglichen weiteren Blamage im Happel-Stadion.

Kühne Träume

Ja, es ist peinlich, dass die Millionenstadt Wien keine andere wirklich große Fußballbühne zu bieten hat. Doch nein, das Geld wächst nicht auf den Bäumen. Also drücken die Verantwortlichen auf die Bremse. Ex-Sportminister Heinz-Christian Strache (FPÖ) schwebte noch ein eher großzügiger Umgang mit Steuergeld vor, er wollte 400 Millionen Euro in ein Nationalstadion inklusive Skisprunganlage investieren. Davon ist nun keine Rede mehr, doch mit 200 bis 300 Millionen würde man bei einem Neubau schon rechnen müssen. Deshalb forderte Wiens Sportstadtrat Peter Hacker (SPÖ) via STANDARD kürzlich, es müsse vorab "zwei Pläne geben. Einen zur Finanzierung des Baus. Und einen, wie sich danach der Betrieb finanziert."

Dieser Forderung schließt sich nun auch Sportminister Werner Kogler (Grüne) an. "Das Um und Auf für so ein Projekt", erklärt Kogler dem STANDARD, "ist ein ökonomisch und ökologisch durchdachtes, für die Steuerzahlerin und den Steuerzahler vertretbares Errichtungs- und Nutzungskonzept." Der Vizekanzler gibt zu, "dass wir – im Gegensatz zu sehr vielen europäischen Ländern – nicht mit einer großen, modernen Fußballarena aufwarten können". In Wien als einem möglichen Standort orte er freilich "wenig Euphorie". Ähnliches gelte für den Fußballbund. Kogler: "Beim ÖFB schien mir das Thema Trainingszentrum in den letzten Jahren vordringlicher."

Infrastruktur mit Ablaufdatum

Da hatte ÖFB-Präsident Gerhard Milletich allerdings kürzlich ganz andere Töne angeschlagen. Die klangen so: "Es muss ein Umdenken in Bund und Land stattfinden, wir brauchen ein multifunktionales Stadion. Wir sind das einzige Land in Europa mit einer derartig schlechten Infrastruktur. Irgendwann werden wir hier nicht mehr spielen können oder dürfen. So realistisch muss man sein."

Kogler stimmt Hacker einerseits zu. "Ein Stadion für sieben Heimspiele des Teams und für ein Europacup-Finale alle zehn Jahre wäre bei dieser Kostendimension nicht argumentierbar", sagt er. Es bräuchte eine Multifunktionsarena mit erwähntem Nutzungskonzept. Andererseits kann er sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. "Egal, ob alt oder neu – man muss von der jeweiligen Betreibergesellschaft immer erwarten können, dass jedes Spiel, jeder Wettkampf funktioniert und ohne gravierende Pannen abgewickelt werden kann."

Klar ist, dass der Bau eines neuen Stadions nur angedacht werden kann, wenn Bund und Stadt kooperieren und sich die Kosten teilen. So oder so ist es ein sehr theoretischer Zeitrahmen, den sich der Sportminister entlocken lässt. "Ein Projekt dieser Dimension", meint Werner Kogler, "lässt sich vom Beginn des Diskussionsprozesses bis zur Fertigstellung wohl kaum innerhalb von fünf Jahren realisieren." (Fritz Neumann, 14.6.2022)