Wenn der Staat Geld ausgibt, muss er es irgendwo auch wieder hereinbekommen. Aber wie?

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Fünf Milliarden Euro noch heuer, 22 Milliarden in den kommenden Jahren: Das neue Antiteuerungspaket der türkis-grünen Regierung ist durchaus großzügig ausgefallen. Dennoch gibt es Kritik – an konkreten Vorhaben im Rahmen dieses Pakets ebenso wie an der Kommunikation desselben durch die Regierung. Nicht alles ist so epochal wie es scheint. Drei Thesen, die dabei helfen, die kommenden Entlastungen, deren Ausmaß und die Profiteure der Maßnahmen besser einzuschätzen:

These 1: Die Fantasiezahl von 22 Milliarden

Eine "Fantasiezahl" nennt Oliver Picek, Chefökonom des linksgerichteten Momentum-Instituts, die Summe von 22 Milliarden, mit denen die Österreicherinnen und Österreich laut Regierung in den kommenden Jahren entlastet werden sollen. Konkret entsteht diese Summe durch eines der zentralen Vorhaben im Rahmen des Entlastungspakets: durch die Abschaffung der kalten Progression ab kommendem Jahr.

Was ist die kalte Progression? Es hat damit zu tun, dass Österreichs Beschäftigte desto mehr Lohnsteuer zahlen, je mehr Geld sie verdienen. Häufig jedoch verdienen sie nur nominell mehr – in Wahrheit, also hinsichtlich der Kaufkraft, ist es aber weniger, weil die Inflation das Geld entwertet hat. In diesem Fall schlägt die kalte Progression zu: Die Beschäftigten verdienen real gar nicht mehr – zahlen aber nichtsdestotrotz höhere Steuern an den Staat.

Aber warum nun soll die Abschaffung dieser kalten Progression in der Höhe von 22 Milliarden Euro eine Fantasie sein?

Dazu muss man wissen: In der Vergangenheit war es nicht einfach so, dass sich der Staat die zusätzlichen Einnahmen durch die kalte Progression behalten hätte. Stattdessen gab es alle paar Jahre eine Steuerreform – meist seitens der Regierung pompös präsentiert und gönnerhaft inszeniert. Im Rahmen solcher Reformen wurden Steuern gesenkt – und die Einnahmen aus der kalten Progression also an die Steuerpflichtigen zurückgegeben.

Bundeskanzler Karl Nehammer (rechts) und Vizekanzler Werner Kogler präsentieren das Entlastungspaket.
Foto: IMAGO/Martin Juen

Künftig fehlt das Geld für derartige Steuerreformen, denn ein Automatismus wird dafür sorgen, dass jene Leute, die zu viel an Lohnsteuer bezahlt haben, diese großteils wieder zurückbekommen.

Worin liegt nun der Unterschied, ob die Menschen die Lohnsteuer in Form einer Steuerreform zurückbekommen oder in Form eines automatischen Ausgleichs der kalten Progression? Im ersten Fall, bei den Steuerreformen, hat die Politik Gestaltungsspielraum. Sie kann zum Beispiel die Mehreinnahmen aus der kalten Progression hernehmen und mit diesen Summen gezielt Geringverdienerinnen unterstützen. Bei einer Steuerreform bekommen also nicht unbedingt genau jene Geld zurück, die zuvor zu viel an Steuer bezahlt haben. Beim Ausgleich der kalten Progression hingegen werden ausschließlich jene entschädigt, die zu viel berappt haben.

Steuerreformen alle paar Jahre haben in Österreich lange Tradition – garantiert wäre bald die nächste angestanden. Die Steuerpflichtigen hätten also Geld bekommen. Doch die angebliche Entlastung von 22 Milliarden suggeriert, dass sich der Staat die Einnahmen aus der kalten Progression bisher einfach behalten hat. Das stimmt eindeutig nicht.

Es hat also durchaus ein Stückweit seine Berechtigung, bei der Summe von 22 Milliarden von einer "Fantasiezahl" zu sprechen.

These 2: Das Prinzip Gießkanne

Große Teile des aktuellen Entlastungspakets sind Einmalzahlungen, die hauptsächlich dieses Jahr fällig werden. Das wären etwa der erhöhte Klimabonus von 250 Euro, der sogenannte Geld-zurück-Bonus von nochmals 250 Euro für alle Erwachsenen und eine einmalige Zusatzzahlung zur Familienbeihilfe.

Ökonominnen wie die Steuerexpertin Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) in Wien kritisieren, dass hier ein Stückweit "nach dem Prinzip Gießkanne" vorgegangen werde. Jeder und jede bekommt etwas, unabhängig vom individuellen Einkommen und Wohlstand. Eine ziemlich teure Aktion: Für heuer plant die Regierung fünf Milliarden Euro an Kosten dafür ein.

Wäre es nicht besser gewesen, gezielt die unteren Einkommensschichten zu entlasten? Noch dazu, wo diese besonders unter der Inflation leiden, weil sie viel von ihrem Einkommen für Energie und Nahrungsmittel aufwenden – Bereiche, bei denen die Teuerung besonders hart zuschlägt?

Geringverdiener geben besonders viel Geld (im Verhältnis zum Einkommen) für Lebensmittel aus.
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Arbeitnehmervertreter wie auch die FPÖ fordern beispielsweise, dass die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gesenkt werden soll. Diese Maßnahme käme, so die Hoffnung, gezielt unteren Schichten zugute. Doch sie hat es nicht ins Entlastungspaket der Regierung geschafft.

Auch hier ist durchaus Kritik zulässig: Viel Geld aus dem Entlastungspaket wird einfach an die Bevölkerung ausgeschüttet, ohne deren soziale Situation zu berücksichtigen.

These 3: Simsalabim, die Gegenfinanzierung

Wenn der Staat Geld ausgibt, muss er aus irgendwo auch wieder hereinbekommen. Diesbezüglich bleiben die Informationen der Regierung aber schwammig: Zum Gutteil würden sich die Belastungen selbst finanzieren, behauptet sie. Was bedeutet das? Weil die Menschen aufgrund der Entlastungen mehr Geld ausgeben, entstehen mehr Jobs und Wirtschaftstätigkeit – was dem Staat wiederum höhere Steuereinnahmen bringt. Womit die nunmehrigen Geldgeschenke an die Bevölkerung gegenfinanziert wären. So geht zumindest die Hoffnung.

Zudem rechnet Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) mit einem höheren Budgetdefizit kommendes Jahres, konkret sollen sich die Entlastungen mit zusätzlichen 0,9 Prozentpunkten Budgetminus zu Buche schlagen.

Tatsächlich hätte es Wege gegeben, die Maßnahmen zu finanzieren, ohne dass die Staatsschulden höher werden und ohne dass man auf magische Finanzierungen von selbst hoffen muss. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr beispielsweise hat eine Erbschafts- und Schenkungssteuer ins Spiel gebracht. In Deutschland wird diskutiert, dass ab einer Erbschaft von einigen hunderttausend Euro acht Prozent Steuer fällig werden. Ein ähnliches Modell wäre für Österreich denkbar, so Felbermayr.

Doch die Regierung konnte sich zu derartigen Schritten nicht durchringen. Ebenso dürfte die Gewinnabschöpfung bei Energiekonzernen wieder vom Tisch sein, die Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor einigen Wochen ins Gerede gebracht hat. Dabei geht es darum, die exorbitant hohen Gewinne solcher Konzerne, die aus dem Ukraine-Krieg und den hohen Gaspreisen herrühren, abzuschöpfen und beispielsweise in Form von Sozialprogrammen umzuverteilen.

Stattdessen lautet das Fazit: Die Regierung nimmt durchaus viel Geld für Entlastungen in die Hand – doch wo es andererseits herkommen soll, ist noch weitgehend offen. (Joseph Gepp, 15.6.2022)