Während in Deutschland in kurzer Zeit ein Sondervermögen für die Verteidigung geschaffen wurde, blieb es in Österreich bisher bei Ankündigungen. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) will aber nun die Gunst der Stunde nutzen und eine langfristige Absicherung der Heeresinvestitionen erreichen.

Das Bundesheer soll sich bei seinen Planungen auf eine langfristige Finanzierung verlassen können, wünscht sich die Verteidigungsministerin. Daher soll die Finanzplanung – als Prozentsatz vom jeweiligen Bruttoinlandsprodukt – mit einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit als Verfassungsbestimmung festgeschrieben werden und auch den spätestens 2024 neu zu wählenden Nationalrat in der nächsten Gesetzgebungsperiode binden.

Die noch zu beschließende Erhöhung bringe Österreich und seinem Bundesheer relativ mehr als das 100-Milliarden-Sondervermögen, das in Deutschland für die Bundeswehr beschlossen wurde. Und sie geht auch über jenes Programm hinaus, das von Thomas Starlinger, Tanners Vorgänger im Expertenkabinett, 2019 angeregt worden war. Starlinger hatte damals 17 Milliarden Euro Nachrüstungsbedarf festgestellt.

STANDARD: In Deutschland ist ein 100 Milliarden schweres Sondervermögen für die Bundeswehr beschlossen worden. Wann gibt es Vergleichbares für das Bundesheer?

Tanner: Bei uns geht es darum, den begonnenen Trend mit einer dreimaligen Budgeterhöhung substanziell über die nächste Legislaturperiode hinaus möglichst verfassungsgesetzlich abzusichern. Unser Ziel muss es daher sein, im nächsten Finanzrahmengesetz von 2023 bis 2026 ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Landesverteidigung zu erreichen – und dann schrittweise ansteigend 1,5 Prozent. Ich gehe davon aus, dass wir die entsprechenden Beschlüsse in diesem Jahr fassen werden. Wenn wir uns die Situation in Deutschland ansehen, wo ja 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investiert werden, klingt das natürlich nach mehr, aber wenn wir das mit unserer Situation, die wir seit Jahrzehnten beim Bundesheer erleben, vergleichen, wären eine gesetzliche Sicherung und ein Anwachsen auf 1,5 Prozent ein Meilenstein und ein größerer Fortschritt für Österreich und unser Heer.

STANDARD: Wenn man am Mittwoch die Fragestunde im Nationalrat verfolgt hat, dann hat man den Eindruck bekommen, dass es weitgehenden Parteienkonsens über ein höheres Verteidigungsbudget gibt.

Eine verfassungsgesetzliche Absicherung eines höheren Heeresbudgets wäre ein Meilenstein, argumentiert die Verteidigungsministerin.
Foto: Bundesheer/Peter Lechner

Tanner: Das war nicht immer so – sonst hätten wir ja keinen solchen Investitionsrückstau. Um mit den meiner Meinung nach sehr treffenden Worten Franz Vranitzkys zu sprechen: Man hat in den vergangenen Jahren der sozialen Sicherheit den Vorrang vor der militärischen Sicherheit gegeben. Aber wir haben heute eben eine andere Sicherheitssituation – und nicht erst seit der Nacht des 24. Februar mit dem Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine. Schon vorher haben die Pandemie, der Terroranschlag vom 2. November 2020 und auch der Cyberangriff auf das Außenministerium das Bundesheer gefordert. Wir müssen jetzt in mehreren Bereichen wachsen – und zwar nicht nur materiell. Wir haben auch Maßnahmen zu treffen, dass wir das nötige Personal haben. Wenn man sieht, welchen Cyberangriffen wir bereits ausgesetzt waren, dann müssen wir in diesem Bereich unser Personal verzehnfachen. Dabei haben wir ein Dienstrecht, das uns in manchen Bereichen die Hände bindet. Das betrifft auch den Ärztemangel, den es ja desgleichen im zivilen Bereich gibt. Wir haben an den medizinischen Universitäten Ausbildungsplätze gesichert, wir zahlen dafür und erwarten dann von den Absolventen eine Verpflichtung zum Bundesheer.

STANDARD: Der Sanitätsbereich wurde ja zeitweise stiefmütterlich behandelt, dort wurde gespart.

Tanner: Es war der Rechnungshof, der bezweifelt hat, dass man ein eigenes Sanitätswesen im Bundesheer braucht. Wir haben das jetzt wieder aufzubauen – und das tun wir. In Innsbruck haben wir mit dem Bau eines Militärspitals begonnen. Es zeigt sich, dass die Wege, die vielleicht in der Vergangenheit richtig waren, nicht die Wege sind, die in die Zukunft führen.

STANDARD: Vor zwei Jahren gab es Überlegungen, die man nur dahingehend interpretieren konnte, dass die militärische Landesverteidigung im herkömmlichen Sinn überholt sei.

Tanner: Das war nie meine persönliche Ansicht. Inzwischen ist ja auch klar, dass die militärische Landesverteidigung ins Zentrum rückt. Österreich muss sich aber auch mit den anderen Aspekten der Umfassenden Landesverteidigung – wirtschaftlich, zivil und geistig, ergänzt um ökologische Landesverteidigung – wieder mehr auseinandersetzen.

Bei Österreichs Sicherheit gehe es nicht nur um das Militär, sagt Tanner: Gefordert seien alle Aspekte der Umfassenden Landesverteidigung (ULV).
Foto: Bundesheer/Peter Lechner

STANDARD: Eigentlich hätte man schon bei der russischen Besetzung der Krim die veränderte Lage erkennen können und mit der Nachrüstung beginnen müssen. Denn bei militärischen Beschaffungen hat man ja jahrelange Vorlaufzeiten, Panzer und Hubschrauber kauft man ja nicht einfach im Vorbeigehen im Supermarkt.

Tanner: Wir waren ja nicht gänzlich untätig, gerade wenn Sie die Panzer erwähnen: Schon im Vorjahr haben wir bekanntgegeben, dass wir im Bereich der schweren Waffen die Kernfähigkeit wiederherstellen und daher unter anderem in die Systeme Leopard und Ulan investieren müssen. Wir haben aufbauend auf dem Risikobild ein sehr konkretes Streitkräfteprofil – da geht es erstens um Mobilität, zweitens um die Ausrüstung der Soldaten, und der dritte Bereich ist die Infrastruktur, insbesondere was die Autarkie anbelangt.

STANDARD: Mobilität – das heißt im Klartext: gepanzerte Fahrzeuge?

Tanner: Das ist das eine. Es geht aber auch um die bereits eingeleitete Beschaffung neuer Hubschrauber. Die ersten dieser 18 Hubschrauber laufen noch heuer zu – und die Ausbildung der ersten drei Piloten in Italien hat in dieser Woche begonnen.

STANDARD: Als Sie Anfang Dezember in Rom die Vereinbarung über den Kauf der AW169 unterschrieben haben, wurde kommuniziert, dass das "rund 600 Millionen Euro" kosten würde. Zu Jahresende waren es dann schon 650 Millionen. Das ist doch eine erhebliche Preissteigerung?

Tanner: Da geht es darum, dass wir unterschiedliche Ausstattungen brauchen – und dabei sicherstellen wollen, dass es möglichst viel österreichische Wertschöpfung gibt. Das Geschäft umfasst also mehr als den Kaufpreis, dazu kommen Pakete für Ausbildung und Lagerhaltung. Und ich glaube, dass jeder in die Sicherheit investierte Euro ein sehr gut investierter Euro ist.

"Die Behauptung, dass unsere Eurofighter in der Nacht nicht fliegen könnten, stimmt ja nicht", tritt Tanner einer häufig geäußerten Kritik entgegen.
Foto: Bundesheer/Peter Lechner

STANDARD: An solchen Paketen und Fähigkeiten wurde beim Eurofighter gespart ...

Tanner: Ich will mich da nicht mit der Vergangenheit aufhalten. Faktum ist, dass unsere Piloten, Technikerinnen und Techniker gute Arbeit leisten und dass der Eurofighter ein gutes Gerät ist. Wo wir aber jetzt investieren müssen, ist die Nachtidentifizierungsfähigkeit – die Behauptung, dass unsere Eurofighter in der Nacht nicht fliegen könnten, stimmt ja nicht. Was nachzurüsten ist, ist die Fähigkeit, bei Nacht andere Flugzeuge zu identifizieren. Das ist auch schon budgetiert. (Conrad Seidl, 16.6.2022)