"Es bringt nichts für das soziale Bewusstsein, wenn Menschen nach Black Lives Matter nun wie verrückt schwarze Kunst kaufen. Das fühlt sich für mich an wie fortgesetzte Ausbeutung", so Theaster Gates.

Foto: Sara Pooley

"Was für ein scheiß fürchterlicher Anblick", sagt Theaster Gates beim Interview in Wien, weil er wieder als einziger schwarzer Künstler bei einer Eröffnung steht. Er ist hier, da er den renommierten Friedrich-Kiesler-Preis erhält. In der Begründung heißt es, seine gemeinschaftlichen Orte bestechen durch poetische und räumlich-ästhetische Qualität. Heute gilt Theaster Gates als einer der einflussreichsten lebenden Künstler weltweit. Die größten Ausstellungen der Gegenwart reißen sich um ihn.

Er hebt sich deutlich von der Kunstwelt durch seine sozial engagierten Installationen ab: Seine Arbeiten sind eng verwoben mit Protest, politischem Denken, Spiritualität und im Allgemeinen mit der Geschichte der schwarzen Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten.

Keine Liebe erwarten

"Es bringt nichts für das soziale Bewusstsein, wenn Menschen nach Black Lives Matter nun wie verrückt schwarze Kunst kaufen. Das ist einfach. Das fühlt sich für mich an wie fortgesetzte Ausbeutung", sagt er deutlich. Der Geist der Gleichheit müsse durch alle Institutionen wehen. Die Geschichte habe gezeigt, dass man sich von diesen Institutionen keine Liebe erwarten kann. Deshalb – Gates überlegt nur kurz – wird er wohl eine eigene Institution gründen müssen. Man will es dem Herrn glauben. Er redet nicht nur darüber, Leute aus der Stadtentwicklung, reiche Philanthropen und Aktivistinnen zusammenzubringen. Er kennt sie auch alle. Und sie helfen ihm, seine Projekte zu verbessern.

Theaster Gates wird 1973 in Chicago geboren. Der Vater ist Dachdecker, die Mutter ist Lehrerin, seine acht älteren Schwestern sind an schwarzen Freiheitsbewegungen interessiert. Er studiert Kunst und Religion, später Urbanismus und Keramik auf drei Kontinenten – also die materielle und die immaterielle Welt im großen und kleinen Maßstab. 2008 kauft er am Beginn der Finanzkrise ein Nachbarhaus in der South Side von Chicago, genau dort, wo sich zwei wichtige Bahnlinien kreuzten. Er höhlt es aus und verwandelt es in einen Ort für die Menschen der Gegend.

Sammeln alter Dinge und Geschichten

Als ihn der Kurator einer New Yorker Biennale dort besucht, meint dieser: Okay, Gates könne den Hof auf seiner Ausstellung haben. Dort zeigt sich dann wohl erstmals seine Liebe für das Sammeln alter Dinge und Geschichten, die Gates zu sozialen Skulpturen arrangiert. Zwischen alten Brettern einer Fabrik kann man sich unterhalten und auf einem Hochstand selbst die Schuhe polieren lassen.

Mit den sozialen Skulpturen eines Joseph Beuys hat das nur wenig zu tun. Seine Kunst, sagt Theaster Gates, schwarze Kunst, müsse grundsätzlich einfach abliefern, weil andere Bereiche dazu nicht imstande sind. Dafür ist er down, sagt er, manchmal ganz Prediger, manchmal ganz Popstar.

Postrassistische Gesellschaft

Theaster Gates sucht dabei nach Taktiken, um wirksam in der Welt zu sein. Er will sich auf ein Problem so tief einlassen, bis er eine neue Form dafür findet und es löst. Bei der Weltkunstausstellung in Kassel vor genau zehn Jahren sorgt er mit einer Revitalisierung eines alten Hugenottenhauses für sehr großes Aufsehen.

Man konnte dort lernen, zuhören, spielen und feiern. Später gründete er eine Bank, baut eine schwarze Kapelle, ein Archiv aus alten Magazinen. Gates schreibt schwarze Geschichte auch neu, indem er eine postrassistische Gesellschaft auf einer Insel vor den Küsten Maines entwirft. Er brennt tausende Tongefäße und malt abstrakt mit Teer.

Von Nägeln gehalten

Seine Objekte sehen oft auch einfach toll aus. In ihrer Patina spiegeln sich akkumulierte Arbeit und der Abglanz des amerikanischen Traums wider. Sie können abstrakt sein, fiktional oder gewissermaßen auch künstlerisch forschend. Einige seiner Bilder bestehen etwa aus Feuerwehrschläuchen – mal flach nebeneinander, mal aufgerollt hinter Glas postiert –, die während der Bürgerrechtsbewegung von der Polizei bei Demonstrationen eingesetzt wurden, um diese aufzulösen. Andere bestehen aus geteerter Dachpappe, die durch Kupfernägel zusammengehalten wird.

Seine Archive – teils tausende Magazine, teils Vinylscheiben einer Chicagoer House-Legende, teils große Karteikästen – setzt Gates auf beiden Seiten des Atlantiks gekonnt in Szene. Und schließlich brennt er weiterhin leidenschaftlich gerne Lehm in nächtlichen Sitzungen und glasiert ihn mit dicken Schichten. Ohne Bescheidenheit hält er sich dabei durchaus für einen Trendsetter. Keramik in der Kunst ist gerade überall. "Ich liebe das!", sagt der Künstler. Und doch: Theaster Gates ist damit nicht recht zu fassen. Er formt nicht nur Objekte, sondern – wie kein anderer – Gemeinschaften. (Stefan Nederwieser, 20.6.2022)