US-Präsident Bidens Kurswechsel muss Teil einer größeren Strategie sein, um Erfolg zu haben, sagt Politikwissenschafter Minxin Pei im Gastkommentar.

Bidens Saudi-Arabien-Reise Mitte Juli sorgt für Kritik. Im Wahlkampf sah er Riad noch als "Außengestoßenen".
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Wenn US-Präsident Joe Biden nächsten Monat in den Nahen Osten reist, werden seine Gastgeber – insbesondere Saudi-Arabien – wohl versuchen, ihn dazu zu bringen, sich wieder stärker in der Region zu engagieren. Sie könnten den Standpunkt vertreten, dass ein strategischer Rückzug China die Möglichkeit geben würde, seinen eigenen regionalen Einfluss auszuweiten. Doch die Realität ist nicht so einfach.

Als bedeutender Produzent fossiler Brennstoffe ist der Nahe Osten zweifellos wichtig für die USA. Tatsächlich sind es die sehr hohen Energiepreise, die Biden zu dem Versuch zwingen, seine Beziehungen zu Saudi-Arabien zu kitten. Bis vor kurzem mied er den Kronprinzen und De-facto-Herrscher des Landes Mohammed bin Salman wegen seiner mutmaßlichen Rolle bei der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in der Türkei im Jahr 2018.

Eine Kehrtwende

Bidens Kehrtwende macht deutlich, wie groß der Einfluss Saudi-Arabiens ist. Und das Königreich dürfte ihn nutzen, um die USA zur Aufrechterhaltung ihres militärischen Engagements im Nahen Osten zu drängen. Warnungen – die Israel wiederholen dürfte –, dass China jedes von den USA hinterlassene Sicherheitsvakuum schnell ausfüllen wird, scheinen die Argumente des Königreichs zu stärken.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass China eine militärische Präsenz im Nahen Osten aufbaut, nicht zuletzt, weil seine wichtigsten Partner in der Region – Ägypten, Iran, Irak, Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – miteinander verfeindet sind. So sind Iran und Saudi-Arabien zwar bereit, mit denselben Akteuren Geschäfte zu machen, doch keines der beiden Länder würde gute Beziehungen zu einem Land unterhalten, das mit seinem Hauptrivalen eine substanzielle Sicherheitsbeziehung pflegt.

Zögerliches China

Chinas Zögern, seine Sicherheitsinteressen im Nahen Osten voranzubringen, deutet darauf hin, dass es sich dessen sehr wohl bewusst ist. Selbst im Falle des Iran, der als Stellvertreter in Chinas strategischer Rivalität mit den USA dienen könnte, hat China Schritte vermieden, die seine Beziehungen zu Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten gefährden könnten. So hat es, anders als Russland, davon abgesehen, moderne Waffen an denIran zu liefern.

Selbst wenn China über mehr strategischen Handlungsspielraum im Nahen Osten verfügen würde, dürfte es seine strategische Präsenz dort nicht wesentlich erweitern, da es die Region nicht als entscheidend für seine Sicherheit betrachtet. Zwar stammt fast die Hälfte der chinesischen Ölimporte aus dem Nahen Osten, doch der wichtigste Schauplatz im sich entfaltenden kalten Krieg zwischen den USA und China ist Ost- und Südostasien. China möchte seine begrenzten Ressourcen ebenso wenig wie die USA im Nahen Osten einsetzen.

Diplomatie und Wirtschaft

Vor diesem Hintergrund dürfte China weiterhin auf diplomatische und wirtschaftliche Mittel zurückgreifen, um seinen Einfluss im Nahen Osten auszuweiten. Es scheint auf der Hand zu liegen, dass die einzige Möglichkeit, diesen Bemühungen entgegenzuwirken, darin besteht, dass die USA ihr diplomatisches und wirtschaftliches Engagement verstärken.

"Wirtschaftliches Engagement ist nach wie vor das wirksamste Instrument Chinas zur Ausweitung seines geopolitischen Einflusses."

Das bedeutet zuallererst, die Bemühungen aufzugeben, den strategischen Wettbewerb der USA mit China und Russland als ideologischen Wettstreit zwischen Demokratie und Autokratie darzustellen. Schließlich handelt es sich bei der großen Mehrheit der Länder des Nahen Ostens um Autokratien. Das Letzte, was die USA brauchen, ist, sie mit einer ideologischen Außenpolitik zu entfremden, die es China ermöglicht, sich als zuverlässigerer, unterstützender und gleichgesinnter Partner darzustellen.

Wirtschaftliches Engagement ist nach wie vor das wirksamste Instrument Chinas zur Ausweitung seines geopolitischen Einflusses. Im Jahr 2020 belief sich der Warenhandel zwischen China und dem Nahen Osten auf 272 Milliarden US-Dollar. Obwohl für den Handel der USA mit dem Nahen Osten keine vergleichbaren Zahlen verfügbar sind, ist der Entwicklungsverlauf des Handels der beiden Mächte mit Saudi-Arabien aufschlussreich. Während der US-Handelsumsatz mit Saudi-Arabien zwischen 2000 und 2021 nur mäßig anstieg – von 20,5 auf 24,8 Milliarden US-Dollar –, stieg der chinesische sprunghaft von drei auf 67 Milliarden US-Dollar.

Auch Zielscheibe?

In Bezug auf Technologie könnten die USA China noch eine weitere Möglichkeit eröffnen. Der Iran ist ein Paradebeispiel dafür, dass der Westen schon lange Sanktionen einsetzt, um "Schurkenstaaten" zu bestrafen. Doch die umfassenden technologischen und finanziellen Sanktionen, die gegen Russland wegen des Krieges in der Ukraine verhängt wurden, haben in den Ländern des Nahen Ostens die Befürchtung verstärkt, dass auch sie zur Zielscheibe werden könnten.

Während China seine technologischen und innovativen Kapazitäten ausbaut, kann es sich als verlässlicherer Technologieanbieter und sichereres Investitionsziel präsentieren. Es ist bezeichnend, dass kein Land des Nahen Ostens die 5G-Netze des chinesischen Telekommunikationsgiganten Huawei verboten hat, trotz starker US-amerikanischer Lobbyarbeit.

Erheblicher Widerstand

Zwar spricht vieles für eine neue Nahoststrategie, die sich auf diplomatisches und wirtschaftliches Engagement konzentriert, doch jeder Versuch Bidens, eine solche Strategie umzusetzen, wird auf erheblichen Widerstand stoßen. Sich mit Diktatoren anzufreunden wird den Vorwurf der Heuchelei nach sich ziehen – das Letzte, was Biden wenige Monate vor den Zwischenwahlen gebrauchen kann, bei denen seine Demokratische Partei wahrscheinlich nicht gut abschneiden wird –, und die protektionistische Stimmung in den USA ist nach wie vor stark. Doch wenn Biden den Kurswechsel als Teil einer größeren Strategie darstellt, um den neuen kalten Krieg mit China zu gewinnen, hat er vielleicht eine Chance. (Minxin Pei, Übersetzung: Sandra Pontow, Copyright: Project Syndicate, 23.6.2022)