Zur Eröffnung des Kultursommers am Freitag tritt Marco Wanda mit den Symphonikern auf.

Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Der Kultursommer Wien bringt 600 Acts bei freiem Eintritt in die Außenbezirke der Stadt. Dorthin also, wo viele Menschen kaum andere Angebote nutzen. Diese kulturelle Grundversorgung lässt sich die Stadt Wien vier Millionen Euro kosten, die der Gemeinderat mittels Sonderbudget freigegeben hat. Ursprünglich war der Kultursommer eine schnelle Reaktion auf Covid, nun soll er der Stadt erhalten bleiben. Immerhin sei er ein Leuchtturmprojekt, so Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler.

So treten etwa, anders als bei den großen österreichischen Rock- und Rap-Festivals, reichlich Frauen auf. Schlagwörter wie Feminismus, Mental Health oder Ukraine stehen als Orientierung immer wieder bei einzelnen Veranstaltungen im Programm. Noch häufiger kann man von Humor lesen, der sich quer durch die Genres ziehen soll. Die Clubkulturbühne ist heuer hingegen wieder Geschichte. Vor den zehn größeren Freiluftbühnen wird es – anders als die Jahre zuvor – keine speziellen Maßnahmen geben.

Eröffnet wird am 1. Juli auf der Kaiserwiese beim Prater. Die Wiener Symphoniker spielen auf, mit ihnen wird Marco "Amore" Wanda performen, und Pop-Hoffnung Lisa Pac durfte sich einige ihrer Songs – einen etwa über Liebe, die higher macht als Helium – fürs große Orchester arrangieren lassen.

Das Pop-Musikprogramm hat insgesamt an Qualität eingebüßt, eigene Shows zu veranstalten oder am Popfest teilzunehmen scheint für viele Künstler nun wieder attraktiver zu sein. Immerhin: Felix Kramer wird larmoyant-lässige Lieder singen. Highlights sind außerdem Skofi & Skyfarmer mit Rap über eleganten Club-Beats, die grellgrün gestylte Tik-Tokerin Elav und Schwesta Ebra mit wokem Trap ("Männer haben Probleme, sie ruinieren Frauen die Seele"). Die FM4-Amadeus-Awards-Alumnis Catastrophe & Cure lassen die gute alte Indierock-Zeit noch einmal hochleben.

Sargnagel und Haider

Dichter besetzt zeigt sich die Literatur im Kultursommer. Stefanie Sargnagel liest mit drei befreundeten Kolleginnen. So wie sie hat auch Lydia Haider bereits beim Bachmannpreis gelesen. Die Hausautorin am Volkstheater wird als Mitorganisatorin der Lesereihe "Blumenmontag" Texte im nicht-cis-männlichen Verbund vortragen. Eine vorwiegend weibliche Viererbande führt den thematischen Faden fort. Sie beschäftigt sich unter dem Titel "Das Paradies ist weiblich" literarisch mit dem goldenen Matriarchat.

Im hochkarätigen Literaturprogramm finden sich weiters Franzobel, Julya Rabinowich und Cornelia Travnicek. Wer möchte, dass geradliniger Humor in Zeiten dauernder Krisen nicht zu kurz kommt, schaut wohl bei Peter Rapp vorbei, der mit Dieter Chmelar und Sportjournalist Robert Sommer aus Kolumnen in der lokalen Presse vorträgt.

Auf den Theaterbühnen des Kultursommers werden die Omas gegen Rechts zweimal performen. Zuletzt hatten sie am Weltfrauentag auf dem Wiener Minoritenplatz eine halbe Stunde lang für das Empowerment älterer Frauen und gegen den Krieg in der Ukraine gesungen. Für ihren aktuellen Auftritt haben die Omas mit einigen jüngeren Frauen zusammengearbeitet, mit Enkelinnen gegen Rechts sozusagen. Ein zeitloser Text von Robert Musil über die Dummheit ("Wenn die Dummheit nicht dem Fortschritt, dem Talent, der Hoffnung oder der Verbesserung zum Verwechseln ähnlich sähe, würde niemand dumm sein wollen") wird szenisch aufgeführt; so wie auch der thematisch geistesverwandte Text über einen Österreicher, der vor über hundert Jahren vom Eiffelturm in den Tod stürzte. Der fliegende Schneider stammt zur Hälfte aus der Feder eines Musikers, Hjörtur Hjörleifsson, der kürzlich aus der Band Oehl ausgestiegen ist.

Zirkus und Kabarett

Zeitgenössischer Zirkus ist auch vertreten. Dabei werden sowohl weibliche Archetypen (Female Circus) wie auch unbezahlte Care-Arbeit (Cie.tauschfühlung) infrage gestellt. Außerdem wird allerlei Akrobatik geboten: am Boden, in der Luft, mit Objekten und ohne.

Im Kabarettprogramm erzählt die frisch gekürte Rosegger-Literaturpreisträgerin Ulrike Haidacher von einer Party in der linken Kultur-Bubble voller Doppelmoral. Die mehrfach ausgezeichneten Zwillingsschwestern RaDeschnig spielen alltägliche Szenen mit viel dunklem Humor nach. Und in insgesamt 25 Häusern zum Leben finden weiters exklusiv für ihre Bewohnerinnen und Bewohner wie auch Angehörige diverse Gartenkonzerte statt.

Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ließ vorab via Twitter wissen, dass man mit dem Programm auch Künstlerinnen und Künstler in herausfordernden Zeiten, in denen viele Orte über Auslastungsprobleme klagen, unterstützen möchte. Eine Publikumsbefragung habe zudem ergeben, dass zuletzt drei Fünftel der Kultursommer-Besucher sonst keine andere Kulturveranstaltung besucht haben. (Stefan Niederwieser, 1.7.2022)