Fußballpickerlsammeln, eh klar! Bei der Frauen-EM in England funktioniert das etwas weniger mainstreamig als bei großen Männerturnieren, sympathischer, karitativer. "Tschuttiheftli" gibt es seit 2008, "Tschutten" ist ein Schweizer Synonym für "kicken". Statt Fotos werden kleine Werke verschiedener Künstlerinnen und Künstler eingeklebt. Das Projekt, in Österreich von den Autoren Claus Farnberger und Gerald Simon unterstützt, hat keinen kommerziellen Hintergrund, sondern unterstützt kulturelle oder karitative Projekte. Den Vertrieb hierzulande übernahm ein Sozialprojekt von Job-Transfair.

Tschuttiheftli

Man muss nicht lange suchen: "Ich steh sehr auf Sport mit Frauen, z. B. Boxen/MMA/Ski/etc, aber Frauenfußball kann ich mir nicht geben, das wirkt so unbeholfen wie ich damals in der Schülerliga", schreibt jemand im Forum von derStandard.at unter die Meldung, dass Spaniens Fußballerinnen fortan gleich viel verdienen werden wie Spaniens Fußballer. Einem anderen hat das Testspiel der Österreicherinnen gegen Dänemark nicht gefallen: "Öfters solche Spiele wie heute im ORF 1 am Sonntagnachmittag live übertragen, dann gibt’s einen Aufstand der Gebührenzahler!" Fußball polarisiert, bewegt, emotionalisiert generell. Ganz besonders hitzig wird es aber, wenn Frauen ihn spielen.

Die Diskussionen um den Stellenwert des Frauenfußballs sind ein Match der Killerargumente. "Es ist einfach schlecht, es interessiert niemanden, Frauen sind langsamer, können nicht so hoch springen und schon gar nicht so fest schießen. Es gibt keinen Markt. Es ist ein anderer Sport." Punkt. Case closed, Akte zu. Bitte keine Widerrede.

Wir versuchen es dennoch. Die Benchmark, der Ausgangspunkt ist Männerfußball, der populärste Sport der Welt, längst ein Milliardengeschäft. Das ehemalige "the people’s game", der Volkssport. Heute schenkt Stürmer Erling Haaland zum Abschied aus Dortmund jedem Mitspieler und Betreuer eine Rolex. Mats Hummels wird sich einen Haxen ausgefreut haben. Die Dimensionen sind ungreifbar geworden, der sogenannte moderne Fußball ist aber wohl noch lange nicht am Plafond angekommen.

Es gibt keinen Markt?

Dass immer mehr traditionelle Männervereine eine Frauensektion gründen, sieht man am Viertelfinale der Frauen-Champions-League: Bayern München, PSG, Real Madrid, FC Barcelona, Arsenal, Juventus, Lyon und VfL Wolfsburg.

Es scheint, als ob die großen Player ein Potenzial erkannt haben. Nadine Kessler, Leiterin der Uefa-Abteilung Frauenfußball, begrüßt den Trend: "Das hebt den Frauenfußball auf ein neues Niveau." Aus Sicht des Fußballromantikers gibt es Bedenken, schließlich können traditionelle Frauenvereine wie etwa Turbine Potsdam in Deutschland oder SV Neulengbach in Österreich mit den Ressourcen der Großen natürlich nicht mithalten.

Der Vorsprung der etablierten Klubs ist eklatant: Trainingsmöglichkeiten, Kommunikationsstellen, Marketing und allein der Name, der schon zieht. Klar: Der Punkt, an dem die Bayern so viele Sarah-Zadrazil-Trikots wie Thomas-Müller-Trikots verkauft, ist meilenweit entfernt. Es ist fraglich, ob es überhaupt dazu kommen wird. Die deutsche Nationalspielerin Laura Freigang sagte kürzlich: "Klar, es geht um Geld, aber ich finde, man sollte sich fragen: Leben wir ausschließlich kapitalistisch und fördern nur das, was maximalen finanziellen Erfolg bringt, oder geht es uns auch um die Gesellschaft?"

Das Thema Equal Pay, also gleiche Bezahlung, erhitzt die Gemüter besonders. Dabei werden zwei Ebenen vermischt: die Nationalteamebene und die Klubebene. Dass bei den Nationalteams Männer und Frauen gleichwertig entlohnt werden, ist ein logischer Schritt, Verbände wie Spanien, England und Norwegen haben das bereits verkündet. Bei den Vereinen ist es eine andere Geschichte. Spricht man mit Spielerinnen, Trainerinnen und Verantwortlichen, erwartet sich fast niemand eine Angleichung. Vielmehr geht es um einen Ausgleich der Ressourcen, Trainingsplätze, Betreuungsmöglichkeiten. Wahrscheinlich wäre Equal Possibilities das bessere Thema.

Es interessiert niemanden?

Warum gleich immer so dramatisch? Das Interesse wächst, vor dem TV und in den Stadien. Ausreißer nach oben wie das Champions-League-Duell zwischen Barcelona und Real Madrid im ausverkauften Camp Nou sind absolute Ausnahmen, hier wurde mit billigen Karten nachgeholfen. Sei’s drum.

In Österreich ist die Planet Pure Frauenliga zum Großteil eine Zuschauerwüste. Teamchefin Irene Fuhrmann führt das auch auf die Vereine zurück, Südburgenland gegen Neulengbach ziehe einfach nicht so wie Sturm gegen Rapid. Kessler nimmt auch die Medien in die Pflicht: Auch die Berichterstattung sei verantwortlich für die teils mangelnde Sichtbarkeit.

Die Berichterstattung bringt ein Dilemma mit sich. Man ist dazu verleitet, in die großen gesellschaftspolitischen Themen abzudriften. Geschlechtergerechtigkeit, Bezahlung, Mutterschutz und so weiter. Dabei entsteht die Gefahr, das Unmittelbare außer Acht zu lassen: die sportlichen Leistungen. Teamtrainerin Fuhrmann sagte kürzlich: "Ich habe mich daran gewöhnt, auch auf gesellschaftspolitische Themen angesprochen zu werden. Es gehört beides dazu." DER STANDARD nimmt sich in dem Punkt nicht aus, gelobt aber Sensibilisierung.

Es ist ein anderer Sport?

Auch hier wird vor allem mit den Männern verglichen. Bei anderen Teamsportarten ist man zurückhaltender. Muss man überhaupt vergleichen? Sporthistoriker Matthias Marschik sagt: "Der Männerfußball definiert sich vor allem über Kraft, Athletik und Stärke. Würde man die ursprünglichen Regeln strenger auslegen, würde sich das Niveau wieder deutlich annähern."

Der Frauenfußball hat in den vergangene zehn Jahren einen immensen Sprung gemacht. Das Spiel ist dynamischer, besser geworden. Das hat vor allem mit der Professionalisierung, mit der Ausbildung der Spielerinnen zu tun. Im ÖFB-Team drängt gerade eine Generation an Spielerinnen nach, die die Akademie in St. Pölten durchlief. "Die sind allesamt sehr gut ausgebildet", sagt etwa Teamspielerin Carina Wenninger. Dass der Frauenfußball in seiner Gesamtheit einen Rückstand auf die Männer hat, ist nicht selbstverschuldet. In Österreich war der Frauenfußball während der Zwischenkriegszeit im Kommen, in Wien wurde eine eigene Meisterschaft ausgetragen. Es folgte ein generelles Spielverbot, das der ÖFB erst 1972 aufhob.

In Deutschland entstand 1930 der erste Frauenfußballklub, der sich aber bald wieder auflösen musste. Während der NS-Zeit wurde Fußball für Frauen und Mädchen als unpassend bezeichnet. 1955 sprach der Deutsche Fußballbund dann ein Frauenfußballverbot aus. Erst 1970 wurde es wieder aufgehoben.

Gerade vor einem Großereignis wie der Euro wird wieder debattiert. Spielerinnen wie Sarah Zadrazil, die schon länger im Geschäft sind, sind Vergleiche und abwertende Kommentare gewohnt. "Das prallt an mir ab", sagt Zadrazil. Und: "Man muss es sich ja nicht anschauen, wenn man es nicht will." Akte zu, case closed. (Andreas Hagenauer, 2.7.2022)