Die erste Pause lege ich bereits vor Beginn der Wanderung ein, auf einer Parkbank in der steilen Waldegghofgasse. Ich hatte mich mit meinem Klimaticket völlig verschätzt und war eine Dreiviertelstunde vor dem Fotografen an der Endstation des 43er in Neuwaldegg angekommen. Nun büsle ich vor mich hin und denke an meinen Vater, der ein großer Wanderer und Geher war. Ich, sein Sohn, ging natürlich nie mit, als er tot war, reute es mich. So viel verlorene Zeit, die ich nicht mit ihm verbrachte.

Die Schwarzenbergallee bietet eine der schönsten und gemütlichsten Möglichkeiten für Spaziergänge in Wien.
Foto: Christian Fischer

Der Fotograf weckt mich um 14.30 Uhr an diesem Junitag, an dem es drückend heiß ist. Wir wollen also wieder mal wandern, biegen nach steilem Anstieg in die Schwarzenbergallee ein, die linker Hand begrenzt wird von der Kleingartensiedlung Waldegghof. Später werde ich zu Hause im Internet ein Inserat finden: "Zum Verkauf gelangt ein ca. 380 m2 großes Grundstück mit einem kleinen Sommerhäuschen mitten in der Natur! Fläche ca. 31,99 m2, Grundfläche ca. 379,23 m2, Preis 269.000,–." Vielleicht verkauft es der Inhaber des gefährlich aussehenden, schwarzen SUV-Monsters, das uns plötzlich und ungewohnt langsam auf der Allee entgegenkommt? Wir machen ihm nur ungerne Platz, bevor wir die beiden Obelisken in der Allee betrachten, die das Volk "Maria-Theresien-Schaukel" nannte, am linken hat sich der frühe Graffiti-Künstler Joseph Kyselak verewigt: "Mit einem Bottich voller pechschwarzer Ölfarbe wanderte er durch das Land und verewigte sich auf Felsen und Brückenpfeilern", kann man über ihn lesen.

Von Ägypten zum Alsbach

Wir queren den Alsbach, schlapfen vorbei an der Marswiese und sehen vor der Jausenstation im Wald einen jungen, feschen Mann seinen nicht minder feschen Vater umarmen, das Hundsi umschwanzelt die beiden. Den jungen reden wir an, er heißt Timor Sharif, ist 33 Jahre alt und wuchs drüben auf der Alszeile auf, als Sohn eines ägyptischen Vaters und einer steirischen Mutter. Nach der Hochzeit vor zwei Jahren zog er nach Liesing, "aber beheimatet bin ich in Hernals, ich komme immer wieder gerne hierher zurück". Natürlich kickte er als Bub auf der Marswiese, "ich war ein Parkkind", nicht ganz schlimm, aber zumindest ein bisserl.

Timor kickte früher viel auf der Marswiese und kommt nun oft mit seinem Hund her.
Foto: Christian Fischer

Was das Autofahren anging, wollte er nicht auf den Führerschein warten, in Ägypten tauchte er schon 14-jährig in den chaotischen Verkehr ein, was ihn vermutlich für frühe Fahrten auf der Alszeile wappnete. Dort bewohnten sie keine Villa, die steht dafür in Marsa Matru, 288 Kilometer westlich von Alexandria und nördlich der Qattara-Senke an der Mittelmeerküste gelegen, Hauptstadt des Gouvernements Matru. Im Sommer war Timor immer für mindestens zwei Monate dort, heuer geht sich das nicht mehr aus, weil er bei der ÖBB als Triebfahrzeugführer zu arbeiten begonnen hat. In Ägypten bauen sie gerade ein supermordernes Schienennetz, bis er als ÖBBler in Pension geht, wird es vielleicht fertig sein.

Naturfotografie

An den Schwanenteichen 1 und 2 flaniert Katha mit ihrer Tochter Maria und deren Freund. Die Jungen haben jeweils einen Hund mit dabei, Katha ihr Handy, mit dem sie die Natur fotografiert, was mittlerweile auch ein Klassiker unter den Verhaltensweisen ist: Der Baum / die Blume / der Vogel wird fotografiert und nicht mehr angeschaut, so wie ein Konzert gefilmt und nicht mehr angeschaut wird.

Katha arbeitet elf Stunden am Tag im AKH mit Maske und braucht den Wald wegen der frischen Luft zum Durchatmen, dafür ist er ja da. Die Wege, die sie dabei jeweils gehen, erzählt der Schwiegersohn in spe, wären unterschiedlich: "Mal hinauf auf den Berg, meistens aber so geradeaus auf der Allee." Von dieser macht Katha wieder Fotos, sie will aber nicht, dass wir sie dabei fotografieren. "Nächstes Mal."

Gefüllte Paprika vom G’spritzten

Geradeaus gehen in der Schwarzenbergallee viele, nur Sebastian fährt im Rollstuhl. Sein Sohn Jacob, erzählt er, während er eine Zigarette raucht, wäre mit der Mama irgendwohin ans Wasser in Neuwaldegg gegangen, er selbst genießt den kühlen Schatten, für den er extra aus Ottakring herübergekommen wäre, und wartet rauchend auf die seinen.

Beim Parkplatz Exelbergstraße biegen wir links ab auf den Forstweg Kreuzbühlen, wir treffen Nathaniel mit seinem Vater, der für ihn aus einem Altholzhaufen Stämme herauszieht, die sie dann durchschneiden. Der knapp Zehnjährige berechnet dabei Radius und Fläche von Kreisen und Ähnlichem, das Wort "Pi", das er für seine Formel verwendet, habe ich ewig nicht mehr gehört. "Ich bin gerne im Wald, ich liebe es!", sagt er zum Abschied. Kein Wunder, bei so viel Quality-Time mit dem Papa.

Simone und Christopher suchen den Schatten an heißen Tagen.
Foto: Christian Fischer

Wir verirren uns und fallen beim Hanslteich auf die sehr laute Amundsenstraße hinunter, dort treffen wir Simone (Wienerin) und Christopher (Steirer), die zuvor beim Zum Herkner ("Ein bisserl ein g’spritztes Lokal") in der Dornbacherstraße essen waren. Der Steirer liebt den grünen Wald gewohnheitsmäßig, und dort hinein drängt er nun seine Wienerin, irgendwo am Weg nach Neuwaldegg werden sie jausnen. Sie haben sich vom Herkner einen zu großen gefüllten Paprika einpacken lassen, den werden sie verputzen.

Biken zu Metal

Wir sind dann so deppert und hatschen direttissima entlang einer Forstmaschinenschneise, die mehr oder weniger aus Gatsch besteht und dem Anstieg nach L’Alpe d’Huez gleicht, was das Gefälle angeht, in Richtung Kreuzeichenwiese, wobei wir, ohne dass wir ihn angepeilt hätten, ohne zusätzlichen Sauerstoff den Heuberg erreichen, 464 Meter hoch gelegen. Dort treffen wir den 32-jährigen Techniker Alexander auf seinem Gravel Bike, der noch mehr schwitzt als wir. Er wird nun da, wo wir heraufgekrochen sind, mit seinem Bike abfahren. Aus den Earpods hört er Nightwish, eine Symphonic Metal Band aus dem kühlen Finnland, wo ich jetzt gerne wäre. Den Metal braucht er zum Herauffahren, das Symphonische gibt er sich bei der Abfahrt. Er weiß nicht, wie gatschig es da im Wald ist, in den er sich gleich hineinstürzen wird, aber einen Helm hat er ja auf.

Alexander schwitzt auf dem Gravel-Bike und hört dabei Symhponic Metal.
Foto: Christian Fischer

Auf der Kreuzeichenwiese liegt eine Halbnackerte, aber für die haben wir keinen Blick. Wir reden nur noch über gefüllte Paprika und darüber, ob es sich auszahlen würde, die ganze Strecke zurück Richtung Zum Herkner zu hatschen. "Gespritztes Lokal" hin oder her – ein Bier wird es dort ja wohl geben! Wir entscheiden uns aber für die kalte Dusche zu Hause und den späten Mittagsschlaf. Von der Feuerwache am Steinhof bringt uns das Klimaticket zurück in die Stadt. Die Mitfahrenden im Bus schauen verächtlich meine dreckigen Schuhe an. Sie wissen ja nicht, was wir durchgemacht haben. (Manfred Rebhandl, 7.7.2022)