Vor 90 Millionen Jahren landete etwas Unerfreuliches auf einem Vorfahren der heutigen Elefanten. Es fiel einem Vogel aus den Federn, der sich auf den Rücken des Säugetiers gesetzt hatte: eine Laus. Damit beginnt eine Reise, die bis heute andauert, denn diese eine Laus ist die Ahnin aller Säugetierläuse. Doch wie genau eroberten Läuse so viele Spezies? Neueste Untersuchungen offenbaren die Reisegewohnheiten der Parasiten.

Vor 90 Millionen Jahren sprangen Läuse von Vögeln auf Säugetiere über. Vielleicht geschah es, als sich ein neugieriger Vogel auf den Rücken eines Urelefanten setzte – hier ist es aber der eines Büffels.
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Meister der Anpassung

Haben Läuse einmal einen Gefährten gefunden, bleiben sie ihm treu. Egal wohin sich ihre Wirte bewegten, die Läuse folgten den Säugern auf dem Fuße – oder dem Bauch oder überall, wo sie Zugang zu ihrer Lebensgrundlage haben: Je nach Spezies sind das die Haut, ihre Sekrete oder Blut. Passte sich der Wirt an neue Lebensbedingungen an, machten es ihm die Parasiten nach. Ein Beispiel für diese außergewöhnliche Fähigkeit zur Koevolution sind die Läuse von Seehunden. Als deren hundeartige Vorfahren ins Wasser wechselten, veränderten sich auch ihre Läuse. Diese Krabbler zählen zu den äußerst wenigen Insekten, die einen Großteil ihres Lebens im Meer verbringen.

Doch bei aller Treue ist auch die Beziehung zwischen Laus und Wirt nicht exklusiv für die Ewigkeit. Bei engem Kontakt kolonisieren die kleinen Plagegeister auch neue Spezies. Biologinnen und Biologen um Kevin Johnson von der Universität Illinois (USA) gehen von mindestens 15 Wirtswechseln in der Geschichte der Säugetier-Läuse aus. Ihre Rekonstruktion des Stammbaums der Läuse, die sie nun im Fachjournal "Nature Ecology & Evolution" veröffentlichten, legt auch den gemeinsamen Vorfahren nahe, der in der Kreidezeit von Vögeln auf Säuger übergesprungen ist.

Läuse sind keine Schönheiten, ihre Verbreitungsgeschichte kann aber dazu dienen, Wirtswechsel besser zu verstehen.
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Genetischer Reisebericht

Die Wissenschafter konnten die erstaunliche Reise der Läuse nachvollziehen, indem sie ihr genetisches Logbuch konsultierten. Aus schockgefrosteten und zermahlenen Exemplaren von 33 Läusespezies extrahierten die Fachleute das Erbgut der Insekten. Die gewonnene DNA erlaubte es, die Herkunft der Läuse bis zu ihren Urahnen zurückzuverfolgen. Die ersten Säugetierläuse befielen demnach Vertreter der Afrotheria. Zu dieser seltsamen Gruppe gehören nicht nur Elefanten, sondern auch possierliche Schliefer und Rüsselspringer. Die Läuse der Afrotheria wiederum stammten wohl von Vögeln, wie Johnsons Studie nahelegt. Allerdings ist der Stammbaum der Läuse seit langem umstritten. Expertinnen und Experten fordern daher größere Studien, um Johnsons Ergebnisse abzusichern.

Die ersten Säugetierläuse befielen Vertreter der Afrotheria. Mitglieder dieser Gruppe sind nicht nur Elefanten, sondern auch dieser somalische Rüsselspringer.
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Die Entwicklung der Läuse ist nicht nur für Entomologinnen und Besitzer von Ameisenfarmen interessant. Anhand der Läuse können Forscherinnen und Forscher lernen, wie genau Parasiten ihren Wirt wechseln. Denn dieser Sprung ist komplizierter, als es scheint: Parasiten sind stark an das Leben auf ihrem Wirt angepasst. Läuse etwa leben in Symbiose mit Bakterien, die sie mit Nährstoffen versorgen, die ihr karger Speiseplan nicht hergibt. Wechseln die Läuse den Wirt, muss auch die Bakterienkolonie umziehen.

Diese Einblicke in den Mechanismus des Wirtwechsels tragen dazu bei, den Ursprung mancher Krankheiten zu verstehen. Denn immerhin befallen viele Krankheitserreger zuerst andere Tiere, bevor sie auf den Menschen überspringen, wie etwa das Coronavirus und die Affenpocken. Die Reise der Läuse könnte uns lehren, das Risiko für solche Zoonosen zu minimieren. (Dorian Schiffer, 11.7.2022)