Die Bagger haben im Innenhof der Wiedner Hauptstraße 52 ganze Arbeit geleistet.

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Vergangene Woche ging bei der Wiener Baupolizei eine harmlos klingende Meldung ein. In einem Innenhof in der Wiedner Hauptstraße 52 im vierten Bezirk solle ab 1. Juli ein Schalendach abgerissen werden, wurde der Behörde mitgeteilt. Aus deren Sicht sprach nichts dagegen: Die Baupolizei nahm die Abbruchbeginn-Anzeige, wie eine derartige Mitteilung auf Beamtendeutsch heißt, zur Kenntnis.

Pikant ist allerdings das Datum, an dem die Anzeige erfolgte: Laut Baupolizei geschah dies am 28. Juni. Das war ausgerechnet jener Tag, an dem sich Vertreter des Denkmalamts in dem Innenhof umgesehen hatten. Ihr Interesse galt besagtem Schalendach.

Dieses wurde als Teil der früheren Kfz-Werkstatt Bergstaller, die dort ihren Sitz hatte, gebaut. Zu dem Betrieb gehörte eine große Reparaturhalle samt Tankstelle. Zuletzt, konkret bis Mai 2022, befand sich dort eine Niederlassung des Autohauses Wiesenthal.

Das Schalendach in noch unversehrtem Zustand.
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In der Architekturszene ist der Komplex aufgefallen: "Die leichte und kühne Konstruktion der hellen Halle, aber auch das dünne Schalendach im Hof vermitteln als schalreine Konstruktionen etwas vom zukunftsorientierten Zeitgeist der späten Fünfzigerjahre", ist etwa im Architekturführer Achleitner zu lesen. Kurzum: Es handelt sich um etwas Besonderes.

Aufregerprojekt

Diese Ahnung hatte man auch im Denkmalamt. Deshalb sei das Objekt am 28. Juni in einem ersten Schritt besichtigt worden, um herauszufinden, ob es "von Denkmalbedeutung" sei, sagt Paul Mahringer, Leiter der Abteilung für Denkmalforschung, zum STANDARD. Der nächste Schritt in diesem Prozess seien weiterführende Recherchen. Darauf folge eine Begutachtung durch einen Sachverständigen. Und – sollten alle Voraussetzungen erfüllt sein – schließlich die Unterschutzstellung per Bescheid.

Wird ein Objekt denkmalgeschützt, ergibt sich für die Eigentümerin oder den Eigentümer ein relativ enges Korsett. Veränderungen an Denkmälern oder gar deren Entfernung sind nur mit Zustimmung des Denkmalamts möglich, gleichzeitig besteht eine Erhaltungspflicht. Heißt, es wird alles komplizierter.

Im Fall der Bergstaller-Gründe haben die Behörden die Rechnung offenbar ohne JP Immobilien gemacht. Medienberichten zufolge hat das Unternehmen das Areal im Jahr 2018 gekauft und möchte es umbauen. Geplant ist demnach, das längliche Gebäude zur Wiedner Hauptstraße hin zu sanieren und im Hof einen Hotelkomplex mit 254 Appartements à 20 Quadratmetern zu errichten. Das Baubewilligungsverfahren dafür ist laut Baupolizei noch anhängig.

Im Grätzel sorgt das Projekt seit Monaten für Aufregung – und darüber hinaus für negative Schlagzeilen. Anrainerinnen und Anrainer kritisieren es mit Unterstützung der Grünen als überdimensioniert, stellen den Bedarf für Gäste-Appartements infrage und fordern stattdessen eine Entsiegelung der Fläche.

Das Dach ist demoliert, das Denkmalamt wird eine Unterschutzstellung nicht weiterverfolgen.
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Ein denkmalgeschütztes Dach im Hof hätte das Bauvorhaben vermutlich nicht gerade leichter gemacht. Angesichts der zeitlichen Abläufe drängt sich daher der Verdacht auf, dass JP Immobilien der geplanten Unterschutzstellung zuvorkommen wollte und deshalb schnell die Bagger auffahren ließ.

Diese haben jedenfalls ganze Arbeit geleistet. Der Vorfall sei "ärgerlich", sagt Abteilungsleiter Mahringer. "Ein wesentlicher Teil ist jetzt weg, wir werden eine Unterschutzstellung nicht weiter verfolgen."

Fehlender Informationsaustausch

Wenn auch die Optik schief ist: Rein rechtlich ist diese Vorgangsweise gedeckt. Zwar gebe es grundsätzlich die Möglichkeit, Kandidaten für einen Denkmalschutz bereits im laufenden Verfahren unter Schutz zu stellen, sagt Mahringer. Aber: "Das ist nur bei offensichtlicher Gefahr möglich, etwa wenn ein Abriss unmittelbar bevorsteht." Doch ein derartiges Vorhaben muss das Denkmalamt erst einmal bekannt sein: "Wir haben das in diesem Fall von der Baupolizei nicht erfahren", sagt Mahringer.

Die Baupolizei wiederum sagt: "Da für die Gebäude auf der Liegenschaft kein Denkmalschutz ausgewiesen ist, kann auch keine weitere Koordination mit der Bundesdienststelle erfolgen". Im Klartext heißt das: Denkmalamt und Baupolizei schieben einander die Verantwortung gegenseitig zu. Seitens JP Immobilien war trotz mehrmaliger Bitte keine Stellungnahme zu erhalten.

Im Denkmalamt tröstet man sich nun damit, dass Konstellationen wie in der Wiedner Hauptstraße zumindest selten seien: "So etwas kommt nur selten vor, alle paar Jahre", sagt Mahringer. Und bei aller Umsicht sei es eben auch unmöglich, vorsichtshalber jedes Objekt bereits im Verfahren unter Schutz zu stellen. (Stefanie Rachbauer, 6.7.2022)