Kritisiert mangelnde Führungsstärke der türkis-grünen Regierung: Ex-Nationalbankchef Ewald Nowotny.

Foto: Robert Newald

Wien – An den Befunden gibt es wenig herumzudeuteln: Auf die Frage, ob die nächsten zwölf Monate eher mit Optimismus oder eher mit Pessimismus betrachtet werden, sagen 50 Prozent, dass sie eher pessimistisch sind – nur 26 Prozent deklarieren sich ausdrücklich als Optimisten; ein weiteres Viertel der Befragten ist unentschieden. Das geht aus der wöchentlich durchgeführten Umfrage der Lazarsfeld-Gesellschaft unter 1.000 Wahlberechtigten hervor, die am Mittwoch präsentiert worden ist.

Aber eine Interpretation kann der Ökonom Ewald Nowotny, ehemaliger SPÖ-Politiker, Bawag-Retter und Nationalbank-Gouverneur, mit großer Gewissheit liefern: "In der Ökonomie sind Erwartungen ein wesentliches Element. Was mich da betroffen macht, ist der massive Pessimismus, obwohl wir derzeit ein schönes Wirtschaftswachstum haben. Nichts ist für Investitionen so gefährlich wie die Unsicherheit – da gibt es die Gefahr einer sich selbst verstärkenden Spirale nach unten." Tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass die in Umfragen gemessene Optimismus-Pessimismus-Bilanz eine gute Prognosekraft für die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts darstellt.

Das sieht die nach dem austroamerikanischen Sozialforscher Paul Lazarsfeld (1901–1976) benannte Gesellschaft als ihren selbstgewählten Arbeitsauftrag: "Wir messen den Puls der österreichischen Gesellschaft im wöchentlichen Rhythmus mit jeweils 1.000 Befragten – das heißt, dass wir jährlich mehr als 50.000 Einzelinterviews machen", sagt Werner Beutelmeyer, der Präsident der Lazarsfeld-Gesellschaft. Die Frage nach Optimismus versus Pessimismus ist dabei ein etablierter Standard – und die Erfahrung zeigt, dass zu Beginn des Sommers (Stichworte: Ferienzeit, schönes Wetter, keine spürbaren Heizkosten, billiges Obst und Gemüse auf den Märkten) der Optimismus-Pegel stark ansteigt. Heuer ist davon nichts zu bemerken.

Gefahr für die Binnenkonjunktur

Für den Pessimismus wird jede und jeder Befragte eigene Gründe haben, zwei Themenkomplexe wurden von der Lazarsfeld-Gesellschaft konkreter untersucht.

Zunächst die Teuerung: 73 Prozent der Befragten nennen die Teuerung mehr (39 Prozent) oder weniger (34 Prozent) stark spürbar – besonders stark klagen junge, dem Mittelstand angehörige Befragte und erklärte FPÖ-Wählerinnen. 64 Prozent sagen, sie würden sich einschränken und weniger Geld ausgeben. Das würde die Spaltung der Gesellschaft befördern.

Nowotny fände es jetzt wichtig, dass vonseiten der Politik klare Ansagen kämen – "im Sinn von Leadership mit der Message: Ja, es ist eine Krise, aber wir können sie meistern." So sei Österreich unter Bruno Kreisky auch durch die von den Ölpreissprüngen ausgelöste Krise der 1970er-Jahre gekommen.

Mehrwertsteuer-Verzicht

Er empfiehlt die – unter Wirtschaftswissenschaftern auch im Lichte der schlechten deutschen Erfahrungen mit den Steuersenkungen für Treibstoff umstrittene – Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel zur finanziellen Entlastung der Ärmsten. Eine solche Steuersenkung wäre aus Nowotnys Sicht ein positives Signal der Regierung – und die Weitergabe der Preissenkung könnte angesichts der hohen Konzentration des Handels auf drei wesentliche Unternehmen nicht nur gut überprüft, sondern von diesen drei Handelsketten sogar als stimmungsaufhellende Marketingmaßnahme genutzt werden, meint Nowotny.

Auf Nachfrage des STANDARD sagte Nowotny, dass man sich in der politischen Verantwortung ohnehin nicht auf die stets kontroversiellen Haltungen in den Parteiwählerschaften verlassen könne – aber wenn sich die Krise sehr unterschiedlich auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auswirke, dann müsse es den Regierenden wohl gelingen, einen "Konsens darüber herzustellen, dass man die ärmeren Bevölkerungsgruppen stärker schützt". Die – insgesamt durchaus diskutable – Abschaffung der stillen Progression in den Einkommenssteuerstufen komme derzeit aber zum falschen Zeitpunkt und mit verteilungspolitisch hinterfragenswertem Ergebnis daher: Die Entlastung koste den Staat rund 14,2 Milliarden Euro, sei nicht in ein Gesamtkonzept der Steuerreform eingebettet und helfe vor allem den höheren Einkommensgruppen.

Unsicherer Blick auf den Krieg

Als zweites Thema, das für den in Österreich grassierenden Pessimismus verantwortlich gemacht wird, hat die Lazarsfeld-Gesellschaft die österreichische Haltung zum Ukraine-Krieg untersucht – und die ersten Fragen bereits in der siebenten Kalenderwoche (also bevor die russischen Truppen die ukrainische Grenze überschritten haben) gestellt. "Einigkeit herrscht darin, dass es gilt, den russischen Vormarsch in der Ukraine zu stoppen. Nahezu zwei Drittel (63 Prozent) sehen im Stopp der russischen Aggression ein ganz wichtiges Ziel. Gleichzeitig herrscht im Augenblick tiefer Pessimismus, ob ein Stoppen des russischen Vormarsches überhaupt gelingen wird. 57 Prozent glauben nicht daran, dass der Ukraine trotz der breiten westlichen Unterstützungsallianz ein Stopp der russischen Aggression gelingt. Schlichtweg wird vermutet, dass Russland letztlich den längeren Atem im Ukraine-Krieg hat", heißt es in der Studie der Lazarsfeld-Gesellschaft.

Im Februar war bereits 51 Prozent der Wahlberechtigten bewusst, dass der militärische Konflikt zu einer schweren Wirtschaftskrise in Europa führen dürfte, in der aktuellen Befragungswelle sagen das sogar 65 Prozent. Dass die Ukraine am Schluss den Krieg gewinnen könnte, glauben nur 15 Prozent. Und obwohl 63 Prozent sagen, dass Russland gestoppt werden sollte (nur in der FPÖ-Wählerschaft hat dieser Wunsch keine Mehrheit), befürworten nur 18 Prozent, dass die EU die Ukraine stärker unterstützen sollte. (Conrad Seidl, 6.7.2022)