Als im vergangenen Jahr eine Flut über das deutsche Ahrtal hereinbrach, versagten die Katastrophenwarnsysteme.

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Stürme, Hochwasser, Waldbrände: Mit der Klimakrise steigt die Zahl extremer Wetterereignisse rasant an – und damit auch die Gefahr einer Naturkatastrophe. Umso wichtiger wird es, Betroffene rasch zu alarmieren.

Eigentlich sieht eine EU-Richtlinie vor, dass die Regierung die Möglichkeiten zur Warnung um ein technisches Tool erweitert: Cell Broadcast. Der Dienst erlaubt es, Textnachrichten an Handys zu versenden, die sich in der Nähe eines bestimmten Gebiets aufhalten. Dabei kommt nicht etwa das Internet zum Einsatz, sondern das reguläre Funknetz der Mobilfunkbetreiber. Im Grunde wird die jeweilige Katastrophe von den Landesregierungen geografisch eingegrenzt.

Über die dortigen Funkmasten wird dann eine spezielle Form der SMS, genannt SMS-CB, an alle Geräte versandt, die verbunden sind. Handys verbinden sich im Regelfall automatisch mit Funkzellen, um Signale zu übertragen.

Verordnung "demnächst"

Was laut der EU-Richtlinie für elektronische Kommunikation eigentlich spätestens am 26. Juni hätte umgesetzt werden sollen, verzögert sich. Derzeit liegt noch keine Verordnung vor. Das Innenministerium, das gemeinsam mit dem Finanzministerium dafür verantwortlich ist, sagt, dass diese "demnächst" erlassen werden soll.

Sie würde den Einsatz von Cell Broadcast überhaupt erst rechtlich regulieren. Der Betrieb soll dann 2023 starten – wobei das auch davon abhängig sei, wie rasch die Mobilfunker die Voraussetzungen für den Katastrophendienst erfüllen. Die technische Infrastruktur unterscheidet sich nämlich zu regulären SMS-Nachrichten. A1, "3" und Magenta erläutern auf Anfrage, dass sie erst mit der Umsetzung starten können, wenn die Verordnung vorliegt.

Die Verspätung erklärt das Innenministerium mit dem Dschungel an Zuständigkeiten: Es bedürfe einer "zeitintensiven Abstimmung" zwischen den Ministerien, der Regulierungsbehörde RTR, den drei Mobilfunkern und allen Bundesländern. Letztere seien für einen überwiegenden Teil möglicher Szenarien für Warnungen zuständig – etwa Naturkatastrophen. Man arbeite "seit der Erlassung der EU-Richtlinie intensiv" an der Umsetzung. Aktuell werden Betroffene primär mit Sirenen alarmiert.

Katwarn wird kaum genutzt

Wer diese hört, soll nach Anleitung der offiziellen Regierungswebseite Hinweise über Radio, TV oder Internet suchen und je nach Art der Warnung Unterschlupf finden. Zusätzlich bietet die Regierung den Dienst Katwarn an. Dabei können sich Nutzerinnen und Nutzer via App, E-Mail oder SMS über mögliche Gefahren informieren. Die Voraussetzung: Sie müssen das Programm installieren oder den Dienst abonnieren. Nach Auskunft des Innenministeriums haben bisher rund 107.000 Personen Katwarn in Anspruch genommen – also lediglich ein Bruchteil der Bevölkerung.

Der Vorteil von Cell Broadcast gegenüber anderen Warninstrumenten ist, dass Nutzerinnen und Nutzer im Ernstfall nicht proaktiv handeln müssen: Weder ist ein Download im Vorfeld notwendig, noch müssen Betroffene nach Informationen in den Medien suchen. Warnmeldungen ertönen selbst dann, wenn das Handy eigentlich stummgeschalten wurde.

Allerdings gibt es einen Haken: Gerätehersteller müssen den Dienst standardmäßig aktivieren. Das ist zwar vor allem bei neueren Smartphones der Fall. Eine rechtliche Verpflichtung dafür gibt es allerdings noch nicht. Diese müsste in der bevorstehenden Verordnung geregelt werden.

Seit Jahren im Einsatz

In Ländern wie Norwegen, den Niederlanden, aber auch in den USA ist der Einsatz von Cell Broadcast seit Jahren Usus. Als beim Hochwasser im Ahrtal vor einem Jahr über 150 Personen in Deutschland verunglückten, spielten wohl auch die schleppenden Katastrophenmeldungen eine Rolle. Viele Sirenen waren entweder in den vergangenen Jahren abgebaut worden oder defekt. Ähnlich wie in Österreich wurde der Aufbau von Cell Broadcast verschleppt – den Dienst gibt es übrigens seit der Jahrhundertwende. Derzeit errichten die deutsche Regierung und Mobilfunkbetreiber die technische Infrastruktur.

Die Niederlande, die ebenfalls von Überschwemmungen an der Maas betroffen waren, verzeichneten hingegen keine Todesfälle – auch weil die Bevölkerung rasch informiert und evakuiert wurde. (Muzayen Al-Youssef, 7.7.2022)