Die Premiere von "La Bohéme" musste nach drinnen verlagert werden.

Foto: Roland Ferrigato

Weihnachten ist’s! Winter ist’s! Es ist vermutlich als ein prophetischer Akt zu deuten, wenn man in Klosterneuburg im Hochsommer mit Puccinis Frier- und Hustoper La Bohème bereits auf das kollektive Frösteln eingestimmt wird, das in einigen Monaten droht. Johanna Mikl-Leitner – bei der Premiere ein Gesamtkunstwerk in Gold – wies in ihrer Ansprache erst auf die Kraft hin, die man aus Kunst und Kultur schöpfen könne, um dann düster hinzuzufügen: "Diese Kraft werden wir brauchen."

So sonnig und idyllisch die Stimmung bei der eröffnenden Plauderei war, so regnerisch und kalt war es draußen, weswegen die Premiere des Opernklassikers vom Kaiserhof des Stifts Klosterneuburg in die nahe Babenbergerhalle verlegt werden musste. Der Umzug vom Ambiente himmelsoffener Barockpracht in die Enge der späten 1960er-Jahre brachte einerseits eine Reduktion der Szene ins Kärgliche mit sich, sodass über die Inszenierung von François de Carpentries nur berichtet werden kann, dass sie von immenser Spielfreude gekennzeichnet war. Das weihnachtlich-winterliche Wandeln und Handeln auf der weiträumigen Kaiserhof-Bühne von Hans Kudlich musste man sich vorstellen, die Seinerzeit-Kostüme von Karine Van Hercke hätte man lieber von etwas weiter weg betrachtet.

Andererseits ereignete sich im "kleinen Festspielhaus" (Garschall) auf dem Gebiet der Akustik eine Verdichtung der Intensität, die fallweise ins Unangenehme, Bedrängende kippte. Der vulkanische Furor, den Christoph Campestrini mit soldatischer Strenge der soliden Beethoven Philharmonie zu vermitteln suchte, findet open air sicher weiträumigere Ableitungen; Sentiment und Schmelz kamen gut an.

Gesungen wurde speziell von den Herren gern mit Höchstdruck, vor allem von Clemens Kerschbaumer als Rodolfo. Kerschbaumer mag ein sympathischer Mensch sein, als Sänger bereitet er mit seinem Dauerpressing oft Schmerzen: Willkommen bei den Schreifestspielen Klosterneuburg! Optisch und akustisch deutlich gefälliger, fast wie der junge Thomas Hampson: Thomas Weinhappel als Marcello. Routiniert seine Künstlerkumpel Aleš Jenis (Schaunard) und Dominic Barberi (Colline). Aleksandra Szmyd war eine Musetta mit spitzem, keckem Sopran und Spaß an der Freud’; Marc Olivier Oetterli unterhielt als Alcindoro mit Komik.

Und die Mimì? Camille Schnoor, für die an Corona erkrankte Kamilė Bonté eingesprungen, wirkte in diesem tumultösen Umfeld mit ihrer darstellerischen und gesanglichen Schlichtheit und Natürlichkeit wie Balsam. Erhitzte Freude beim Schlussapplaus; der Winter, er kann kommen. Bis 5. 8.

(Stefan Ender, 11.7.2022)