Martin Brunninger bei einem Vortrag über Gesundheitsdaten im vergangenen Sommer.

Foto: EFA/Matteo Vegetti

Der Büroleiter im Dachverband der Sozialversicherungsträger, Martin Brunninger, wurde am Mittwoch suspendiert. Die Wiener Zeitung berichtet, Brunninger werde vorgeworfen, sich bei der Veranlagung von Mitteln aus der Rücklage nicht an die Geschäftsordnung gehalten zu haben. Die Konferenz der Sozialversicherungsträger hat dies Donnerstagvormittag auch per Aussendung bestätigt. Es bestehe der Verdacht, dass der Büroleiter seine Dienstpflichten verletzt habe – eine Prüfung sei eingeleitet worden. Die Entscheidung in der Trägerorganisation soll einstimmig gefallen sein.

Das Timing ist auffällig: Nur kurz nach Bekanntwerden der Eckpunkte aus dem Rohbericht des Rechnungshofs zur Kassenreform, der der Sozialversicherung und den verantwortlichen Politikern ein vernichtendes Zeugnis ausstellte, muss ein Mann in leitender Position gehen. Wenn man genauer hinsieht, wird offensichtlich: Es ist jemand, der im Verband keine Lobby hinter sich hat. Der Rechnungshof-Rohbericht besagt, dass bisher durch die Kassenreform nur Mehrkosten entstanden seien, 2018 hatte die damalige türkis-blaue Regierung eine Milliarde Euro Einsparungen, die dann direkt Patientinnen und Patienten zur Verfügung gestellt würden, in Aussicht gestellt.

Veranlagung von Reserven

Was wird Brunninger konkret vorgeworfen? Es geht um die Veranlagung von Reserven. Diese Veranlagung der Gelder zur Liquiditätsabsicherung seien durch den Büroleiter nicht nach den vorgeschriebenen Vorgaben und Abläufen erfolgt, teilte die Sozialversicherung mit. Man habe eine interne Revision gestartet und einen unabhängigen Experten mit einem Gutachten beauftragt.

Brunningers Anwältin Katharina Körber-Risak teilte mit, Brunninger habe sich stets strikt an alle gesetzlichen Vorgaben gehalten, insbesondere in Bezug auf die finanzielle Gebarung des Dachverbandes. Auch seien alle Gremien laufend über die Tätigkeiten der Büroleitung informiert gewesen. Zu keinem Zeitpunkt seien Verluste realisiert oder gar in irgendeiner Form mit Geldern der Versicherten spekuliert worden, teilte die Anwältin mit.

Mit sofortiger Wirkung weg

Und weiter hieß es, dass Brunninger zurückgetreten ist und mit sofortiger Wirkung sein Dienstverhältnis beendet habe. Zuletzt sei "mit unqualifizierten Interventionen und grotesken Vorwürfen gegen ihn und andere unabhängige, leistungsstarke Mitarbeiter aus dem Büro des Dachverbandes agiert worden", hieß es noch in der Aussendung.

"Jeder will für sich bleiben"

Brunninger hatte sich am Tag vor diesen Ereignissen im Dachverband noch an den STANDARD gewandt, weil er bereits den Eindruck gehabt hatte, dass gegen ihn etwas im Busch sei. Er sagt, dass ihm von Anfang an Steine in den Weg gelegt worden seien. Die Funktionäre der fünf verbliebenen Sozialversicherungsträger (ÖGK, SVS, BVAEB, PVA und AUVA) würden jegliche Bestrebungen, die Umsetzung der Strukturreform weiter voranzubringen, blockieren.

Beispielsweise habe er ein gemeinsames Immobilienmanagement einführen wollen, den gemeinsamen Einkauf von Heil- und Behelfsmitteln oder die gemeinsame Digitalisierung der Daten der Träger vorantreiben wollen. Das alles sei ihm verwehrt worden. "Jeder will für sich bleiben, alle wollen ihre Strukturen behalten", sagte Brunninger. Die Ausrollung des E-Rezepts und rund 250 Millionen Euro Einsparungen durch die Preisverhandlungen mit der Pharmabranche seien ihm dennoch gelungen.

Kam aus Forschung und Bankenwesen

Brunninger wurde am 1. Juli 2019 Büroleiter des Dachverbandes und sagte kurz später in einem Interview, er sei angetreten, "um Strukturen zu verbessern". Er kam über ein FPÖ-Ticket in diese Funktion, bezeichnet sich aber als parteiunabhängig. Ein von der FPÖ damals favorisierter Kandidat hatte denn auch das Nachsehen, Brunninger war damals eine Kompromisslösung zwischen Türkis und Blau. Im kürzlich bekannt gewordenen Rechnungshof-Rohbericht wird laut "Profil" massive Kritik an der Bestellung Brunningers geäußert: Die fachliche Eignung sei nur zu zehn Prozent gewichtet worden, zu 30 Prozent ein Persönlichkeitstest, der persönliche Eindruck bei einem Interview mit einem Personalberater hingegen zu 60 Prozent. Allerdings sei, so berichtet "Profil", dem Rechnungshof nicht dargestellt werden, auf welchen Grundlagen der Personalberater seine Einschätzung traf. Es gebe dazu keine internen Unterlagen des Dachverbands.

Der 53-Jährige hat Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur Wien und Gesundheitsökonomie an der London School of Economics studiert und eigenen Angaben zufolge erwogen, in der Forschung zu bleiben, was er zunächst auch tat. Dann war er aber 20 Jahre in diversen Banken für den internationalen Gesundheitssektor verantwortlich. Vor dem Wechsel in den Dachverband und seinem Umzug nach Wien war er Managing Director mit Schwerpunkt Gesundheitswesen eines international tätigen Beratungsunternehmens.

Laut Loacker unfair

Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker sagt, er sei zwar nicht immer einer Meinung mit Brunninger, aber was da passiere, sei unfair. Brunninger habe "keine Hausmacht und keine Parteizugehörigkeit", da sei "endlich mal kein Parteiapparatschik" am Werk. Eine der wichtigsten Aufgaben des Dachverbandes seien die Verhandlungen der Pharmapreise, und da habe Brunninger gut verhandelt. Er sei einfach Ökonom und nicht Ideologe.

Die Gremien der Sozialversicherungsträger werden mit Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeberseite besetzt, also mit Rot und Schwarz zuordenbaren Funktionären. Die Kassenreform hat den Einfluss der ÖVP da noch verstärkt. Die Spitze des Dachverbandes wechselt halbjährlich zwischen Ingrid Reischl, ehemals Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse, und Peter Lehner, ÖVP-Politiker, Brunninger war hingehend durchgehend in seiner Funktion als Büroleiter tätig.

Die Aufgaben des Büroleiters werden mit sofortiger Wirkung von seinem Stellvertreter, Alexander Burz, übernommen. Burz war unter anderem in der Vergangenheit auch bei der Industriellenvereinigung tätig gewesen sowie im Kabinett des damaligen Wissenschaftsministers Reinhold MItterlehner (ÖVP). (Gudrun Springer, 14.7.2022)