Rund um die Ottakringer Brauerei hängt meist eine Duftglocke aus Germ. Ein, für Orte an denen gebraut wird, typischer Hefe-Smog. Den Geruch mag nicht jeder. Manchmal, wenn das Wetter passt, mischen sich auch noch Schokoladen- und Kaffeewinde unter die säuerliche Süße der bierigen Gärgase. Die Produktionsstandorte von Manner und Meinl, nur wenige Gehminuten entfernt, sollen dafür verantwortlich sein.

Im Moment riecht man am Braugelände aber nur Germ, Hopfen, Malz, Burger, Wedges und alles was sonst noch so von der Craftbeer-Welle in den letzten Jahren an transfetter Vielfalt angeschwemmt wurde.

Warum das wichtig ist? Gerade wurden gut 50 Menschen auf der großzügigen Holzterrasse der Brauerei dazu angehalten, sich im Schneidersitz auf ihren mitgebrachten Yogamatten niederzulassen und die Umgebung sinnlich zu erfassen.

Herabschauender Hund aka das Bier aus dem Blick verlieren.
Foto: Heribert Corn/Der Standard

"Schließt die Augen. Kommt langsam an. Nehmt bewusst das Hier und Jetzt wahr. Formuliert einen Wunsch, ein Mantra für das, was ihr aus dieser Klasse mitnehmen wollt", instruiert Katharina Butz die Klasse. Man merkt, dass Butz diese Sätze nicht zum ersten Mal sagt. Sie ist Yogalehrerin und hat ihre Matte auf der zweiten, etwas höher gelegenen Ebene der Brauereiterrasse platziert. Von hier aus kann man sie gut sehen. "Und jetzt stellt euch vor, wie das Bier, das vor euch steht, gleich schmecken und riechen wird. Wie es euch erfrischt." Man merkt, dass Butz diese Sätze noch nicht so oft gesagt hat. Das wird sich aber in den nächsten Wochen ändern. Weil: Willkommen beim Bieryoga.

Hopfen & Flow

Jeden Dienstag ab 18 Uhr wird den ganzen Sommer im Rahmen des Ottakringer Bierfests eine Gratis-Yogaklasse in der Brauerei abgehalten. Bei Schönwetter draußen, wenn’s schirch ist, drinnen. Dazu gibt es zwei Freibier in der 0,33-Liter-Flasche, oder einen Radler in der 0,5-Liter-Flasche. Das Gebinde wird dabei in die Asanas, wie die Übungen und Posen im Yoga heißen, integriert. Und zwischen den Asanas darf, ja soll man sogar am Bier nippen und mit Matten-Nachbarn immer wieder anprosten.

Aus pragmatischen Gründen entscheide ich mich für die Variante mit den 0,33-Liter-Flasche. Erstens mehr Alkohol und zweitens hat man nicht so schwer zu heben. Zunächst heißt es aber: "So, jetzt öffnet alle eure Flaschen und genießt den ersten Schluck!"

Es zischt links, rechts, hinten und vorne. Als wäre man in ein Kobranest getreten. Danach folgt leises Kichern. Die Richtung ist jedenfalls schon einmal klar abgesteckt: Hier wird der Das-kann-ja-heiter-werden-Pfad beschritten.

Ein Biertrinker, kein Yogi

Unglücklicherweise ist mein Platz direkt hinter Katharina Butz. Aus alten Schultagen weiß ich, dass hinterm Rücken von Lehrkräften nicht unbedingt der beste Ort ist, um sich zu verstecken. Hinter einer Yogalehrerin ist aber der hochgradig dümmste Platz, den man erwischen kann. Ein zeitgerechteres Erscheinen, gleich in voller Yoga-Montur, wäre ratsam gewesen, denn jetzt sieht nämlich jeder nicht nur wie eine Übung korrekt ausgeführt wird (Butz), sondern auch wie man es besser nicht machen sollte (ich).

Nur fürs Protokoll: Ich bin wohl ein erfahrener Biertrinker, weiß mit Eleganz Flaschen zu halten. Ich beherrsche auch die Fähigkeit aus Flaschen zu trinken, ohne mir Schneidezähne auszuschlagen, aber ein erfahrener Yogi bin ich eher nicht.

Prost-Pose?
Foto: Heribert Corn/Der Standard

Dementsprechend ist es schon im Vierfüßlerstand beim Katzenbuckel- und Kuhrückenmachen mit der Eleganz vorbei. Trotzdem – die Chance lebt, dass in der nächsten Stunde mein Überschuss an Bier-Yin und völliger Mangel an Yoga-Yang in Einklang kommen könnten. Und zwar auf einer Matte, die, obwohl schon einige Jährchen am Buckel, auf Willhaben noch immer problemlos als neuwertig durchginge. Sie stinkt nur ein bisschen und ruhte bis dato friedlich in ihrem Schrankgrab. Gut eingesegnet zwischen Schwimmbrille, Laufschuhe, Thera-Band, Squashschläger und "Ring Fit" für die Switch. Heute ist ihr jüngster Tag. Aus Bierschaum soll das zähe Gummibiest wieder geboren werden. Oder doch besser auferstehen? Sorry, hier sind gerade ein bisschen die Mythologiemetaphern durcheinander gekommen.

US-Yoga-Kultur

Aber ganz ehrlich – bei Yoga und Bier, da kommt irgendwie auch was durcheinander. Gut, es gibt Ziegenyoga, Hundeyoga, Babyyoga, Boxing-Yoga, Metal-Yoga und auch auf SUPs wird seit geraumer Zeit praktiziert. Insofern ist es nur konsequent, wenn so gegensätzliche Entspannungstechniken wie Alkohol (effektiv) und Sport (uff) kombiniert werden. Wenn man dann aber auf Websites immer wieder liest, dass die Jahrtausende alte Braukultur mit der Jahrtausende alten Yogakultur zusammengeführt wird und ein tiefgründigeres Konzept dahinter steckt, klingt das allerdings schon ein bisschen deppert. Vor allem, weil Bieryoga – wenn’s wahr ist – seine Wurzel beim legendären amerikanischen Wüstenfestival "Burning Man" haben soll. Nicht alles, was in der Wüste von Nevada passiert, bleibt anscheinend in der Wüste von Nevada.

"Wirklich wissen tut es aber niemand", meint etwa Magdalena Pils dazu. Sie ist, wie Butz, Yogalehrerin im Josefstädter Studio "Yogaria", das gemeinsam mit der Brauerei die Bieryoga-Klassen veranstaltet. Und sie bestätigt gleich einmal zwei wichtige Dinge. Erstens: Man macht keine Wortspiele mit Vor- und Familiennamen, vor allem dann nicht, wenn sie am Silbertablett serviert werden. Tut man nicht. Niemals. Und zweitens: "Natürlich geht es beim Bieryoga in erster Linie um Marketing." Pils spricht eine Wahrheit gelassen aus. Sie zählt offensichtlich nicht zu jenen Yoga-Dogmatikern, die regelmäßig die Ujjayi-Atmung anwerfen und ihre Zellen zur Raison meditieren, wenn jemand mit neuen Ideen auf Kundschafts-Akquise geht.

Lifestyle-Kuchen

Denn letztlich geht es am hart umkämpften Yoga-Markt um wirtschaftlichen Erfolg und ums Überleben. Nur so viel: Zwischen 6.000 und 6.500 ausgebildete Yogalehrende soll es in ganz Österreich geben, heißt es aus der Yoga-Union, der 2020 gegründeten Interessenvertretung für Yogalehrende. Man weiß übrigens auch nicht, wie viele Studios es in Österreich gibt. Rund 300 sollen es sein. Genaue Aufzeichnungen existieren nicht. Yoga ist ein freies Gewerbe, die Wirtschaftskammer ist nach SVS für viele der böseste aller Endgegner. Einigermaßen gesichert ist nur, dass nicht wenige Yogis ein Stückchen vom Lifestyle-Kuchen wollen und ein paar Brosamen, die von der jährlich wachsenden Industrie dahinter abgeworfen werden. Da muss man sich eben was einfallen lassen.

"Wir arbeiten seit vier Jahren mit der Brauerei Ottakring zusammen", erzählt Pils und erklärt, dass beide Seiten von der Kooperation profitieren. "In erster Linie geht es um Spaß und darum, Leute zum Yoga zu bewegen." Vor allem Männer, oder? "Ja, durchaus sollen Männer so niederschwellig wie möglich angesprochen werden. Man muss sie abholen, wo sie sind."

Zwischen den Übungen soll man immer wieder einen kleinen Schluck nehmen.
Foto: Heribert Corn/Der Standard

Das klingt jetzt zwar ein wenig nach Klischee, aber aus Eigenerfahrung und teilnehmenden Beobachtungen weiß ich, dass Freibier nicht nur niederschwellig anzusprechen vermag, sondern bei entsprechender Menge gleich auch Hemmschwellen beseitigt. Keine Ahnung welche Hirnregionen da stimuliert werden, ich vermute aber, dass es ganz, ganz alte und primitive sind, die gehäuft in Schank- und Biertischnähe aktiviert werden.

A schöne Bierleich'

Das Geschlechterverhältnis auf der Brauereiterrasse geht in dieser Yoga-Klasse trotzdem vier zu eins für die Frauen aus. Noch. Ob sich das im Laufe des Sommers ändern wird? Keine Ahnung. Es ist mir auch ziemlich egal im Moment. Zu sehr bin ich darauf konzentriert, nicht umzufallen. Bequem wie ich bin, schiebe ich mein Herumtorkeln aufs erste Bier, weiß aber, dass ich mich damit selbst belüge. Meine Körperspannung ist einfach übel, von zu vielen Streamingstunden am Sofa. Aber ich lobe mich mit viel Achtsamkeit mir selbst gegenüber durch Brett, Stuhl und Drehsitz, abschauende Hunde und Sonnengrüße. Zwischenzeitlich bin ich auch ein Krieger, oder besser: ein Kriegerl eins und ein Kriegerl zwei, denn die Bierflasche ist immer präsent. Meistens in der Hand, wenn Butz die Klasse nicht gerade in den Baum verpflanzt.

Bei dieser Pose steht man zuerst fest und gerade auf dem Boden. Dann wird das Gewicht auf das rechte Standbein verlagert und das linke Bein gehoben, um die Fußsohle an die Wade oder Innenseite des rechten Oberschenkels zu bringen. "Keinesfalls Fußsohle auf Knie", warnt die Lehrerin. "Sonst fällt man nämlich auf der Stelle tot um", warne ich mich. Dann geht's ans Eingemachte. Die Bierflasche wandert zuerst an die Brust und dann vors Gesicht. Wer will, darf jetzt einen Schluck nehmen. Ich will nicht. Dann geht die Reise weiter und die Flasche findet ihre Endstation am höchsten Punkt des Kopfes, um darauf balanciert zu werden. "Wenn du aus der Pose rausfällst, einfach wieder einsteigen, ist kein Drama", tröstet die Yogalehrerin milde jene, die mit dieser Balanceübung ihre Schwierigkeiten haben.

Obwohl hinter ihr, fühle ich mich direkt angesprochen und gebe wohl einen sehr merkwürdigen Baum ab. Ich weiß nicht, ob ich mehr Zitterpappel oder Trauerweide bin. Langsam finde ich aber Gleichgewicht und bin sicher: Ich bin eine Trauerweide. Eine Trauerweide im Bierwind, mit einer Flasche Ottakringer am Scheitel, die schon sehnsüchtig auf die letzte Pose, das beste jeder Yogastunde, wartet: Shavasana – die Totenstellung. Weil eine schöne Bierleiche hab ich immer noch abgegeben. (Manfred Gram, 19.7.2022)