Koffer, die bis obenhin mit Antiquitäten vollgestopft sind, bleiben in Heathrow (Terminal 2) liegen: Nicht nur der Flugreiseverkehr beschert Freuden.

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Wer dieser Tage in die Ferne schweift, muss – nicht nur der Hitze wegen – mit Unbill rechnen. Flüge, die man pünktlich zu Sankt Nikolaus gebucht hat, werden plötzlich auf Sankt Nimmerlein verschoben. Koffer, die der Globetrotter bis obenhin mit Antiquitäten vollgestopft hat, landen statt in Wien-Schwechat auf einer Antillen-Insel.

Das Hoch, das uns Europäern gerade einheizt und den Anwohnern am Mittelmeer furchtbare Waldbrände beschert, nennt sich "Jürgen". Mich Babyboomer erinnert dieser tadellose Vorname an die Sommererzählungen meiner Kindheit. Knallte damals, in den Pop-Art-bunten Tagen der Ära Kreisky, die Sonne besonders gnadenlos herunter, wurden manche meiner zahlreichen Onkel sentimental.

Die meisten von ihnen steckten in Shorts, deren Bund ihnen bis zur Brust reichte. Ihre Ferien hatten sie als junge Männer auswärts zugebracht: in einem der zahlreichen, von ihnen als Wehrmachtssoldaten überfallenen Länder. Ihre Abneigung gegen Wandertouren war grundsätzlicher Natur. Begründet wurde sie mit den von ihnen erbrachten Marschleistungen. "Ich habe durch halb Europa zu Fuß gehen müssen!" Auch wurde in der russischen Steppe im Sommer viel Staub aufgewirbelt.

Aktives Ausspannen

Merkwürdigerweise fand sich inmitten des furchtbarsten Vernichtungskrieges, den die Welt je gesehen hat, allerlei Gelegenheit für aktives Ausspannen. Einer meiner Lieblingsonkel erlebte, so erzählte er, als Besatzer in Marseille den "schönsten Sommer" seines Lebens. Der Beaujolais floss in Strömen; Französinnen machten ihm, einem einfachen Gefreiten aus Stockerau, Avancen. Dumm erschien ihm freilich, dass die SS nebenan im Hafen ganze Häuserblocks in die Luft sprengte: "Irgendeiner Vergeltung wegen!"

Als ich später als Bub nach Südfrankreich gereist war, begegnete ich einheimischen Greisen. Sie saßen im Schatten uralter Platanen und flüsterten jedem Deutschsprachigen durch zusammengebissene Zähne ein Wort hinterher: "Boches!" Was so viel wie "Hunnen" heißt. Schwer zu beurteilen, ob sie heute sehr viel freundlicher "Jürgen" sagen. (Ronald Pohl, 20.7.2022)