Kultivierte das Image des Naturburschen und ließ es dennoch nie an zoologischer Gelehrsamkeit fehlen: Ted Hughes (1930–1998), der wichtigste britische Lyriker seiner Generation neben Philip Larkin.

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Nie besaß Großbritanniens reichhaltige Fauna einen wortgewaltigeren Fürsprecher als Ted Hughes, den Poeten "Ihrer Majestät". Zu allen Tieren, selbst den noch so kleinen und unscheinbaren, unterhielt dieser Sohn eines Tischlermeisters in Yorkshire eine von tiefem Mitgefühl geprägte Beziehung. Bereits als Bub, der in einer unwirtlichen Landschaft zwischen Kricketplätzen und Eisenbahngleisen aufwuchs, führte er Frösche und Mäuse im Hosensack spazieren.

Während seiner Studienjahre in Cambridge (der Landbursche fühlte sich unter all den Gelehrten ausgesprochen unwohl) hatte Hughes dann endlich eine Erleuchtung. Nachts erschien ihm im Traum ein mannshoch aufgerichteter Fuchs, blutig und verkohlt, "glänzend vor Schmerz". Meister Reineke forderte ihn auf, das unfruchtbare Zerpflücken der Literatur sein zu lassen. Stattdessen hinterließ er ihm auf einem leeren Blatt Papier den Abdruck seiner füchsischen Hand: ein Liniengewirr.

Das aus diesem Erlebnis resultierende Gedicht "Der Gedankenfuchs" (The Thought-Fox) enthält eine Aufforderung zur Selbstbesinnung. Es bildet, an die zweite Position gerückt, den Beinahe-Auftakt zur faszinierenden Werkauswahl Wodwo. Diese Blüten- und Tierlese hat der Georg-Büchner-Preisträger Jan Wagner jetzt mit sicherer Hand ins Deutsche übertragen: jederzeit eng an der Vorlage haftend, nie ums treffende Wort verlegen, vor allem aber Äquivalente ersinnend für die zumeist betörenden Klangwirkungen.

Der Fuchs aber, ein Räuber, der "Abdruck um Abdruck ins Schneeweiß setzt", macht einen Satz hinein in Hughes’ Kopf – woraufhin die Uhr tickt und das leere Blatt vor ihm bedruckt ist. Von nun an pirschte sich Ted Hughes (1930–1998) an praktisch jedes Festlandtier heran. Der Hüne besang Stier, Schwein, Otter, Dachs, Habicht, Schnake, Ente, Taube, Käuzchen. Ganz zu schweigen von Hecht, Makrele, Aal und anderen Fluss- und Meeresbewohnern. Hughes war nämlich passionierter Angler.

Angeln mit Queen Mum

Als man ihn, der längst zur poetischen Weltberühmtheit geworden war, 1984 zum "poet laureate" der Queen ernannte, verbrachte er zahlreiche Stunden hinter der Rute: gemeinsam mit der Königinmutter auf Schloss Balmoral. Das behagliche Bild des Lesebuchdichters, der sich am royalen Deputat von jährlich 600 Sherry-Flaschen (symbolisch) gütlich tut und nebenher ein paar Verse auf Prinz Harry dichtet, überlagert den anderen, nicht minder authentischen Hughes.

Als junger Ehemann lebt er an der Seite der hochbegabten Kollegin Sylvia Plath. Dieses Traumpaar der angelsächsischen Poesie hastete dichtend und liebend und zankend durch Himmel und Hölle, ehe Plath ihrem Leben 1963 ein abruptes Ende setzte. In den späten Birthday Letters verdichtete Hughes ein letztes Mal seine Erinnerungen an die Todunglückliche: "Schwummrig hielten wir uns aneinander / Fest und trieben gemeinsam in einem Fass / Über irgendeinen Niagara …"

Dass dieses von ihm allein bewohnte Fass nicht vollends an der Wirklichkeit zerschellte, verdankte Ted Hughes seinem niemals leichtfertigen Humor: einem verschmitzten, dann wieder dröhnenden Bekenntnis zur Natur, ihrer schöpferischen Vielfalt.

Für die Modernisierung von Ovids Metamorphosen fand er originelle Zugänge. Vor allem aber besaß er einen untrüglichen Instinkt für die Gestaltwerdung des poetischen Organismus. Für jedes Geschöpf hat dieser Professor Grzimek der Moderne die passende Volte parat, ein stupendes Detail. So spricht bei ihm der Habicht (Hawk Roosting): "Meine Umgangsform ist das Kopfabreißen, // Die Zuteilung des Todes. / Denn der einzige Pfad meines Fluges führt / Direkt durch die Knochen derer, die leben."

Lob des Hechts

Über "Hechte" spricht Ted Hughes voll kalter Bewunderung. Lobt ihr "von Grün getigertes Gold". Er schildert, wie er Hechte im Glas gefangen hält. Erst sind es drei, dann zwei. "Und schließlich einer // Mit prallem Wanst und dem ererbten Grinsen."

An Ted Hughes erinnert heute eine Ehrentafel im "Poet’s Corner" in der Londoner Westminster Abbey. Sein faszinierter Blick auf die Schöpfung hat ihn niemals sentimental werden lassen. Das Gedichteschreiben fasste er als Jagd auf, und jedem tierischen Gedichtkörper galt seine ganze Sorgfalt. Er konnte die Bibel, mit Blick auf die Weltverhältnisse, guten Gewissens korrigieren. Nicht Eva pflückte den Sündenapfel. Adam aß ihn. "Eva aß Adam. / Die Schlange aß Eva. / Dies hier ist ein dunkler Darm."

Jetzt hält die Schlange im Paradies ihr Verdauungsschläfchen – "und lächelt, hört sie / Gott, sein Quengeln und Rufen". Trost schöpft der Mensch allein schon durch dieses herrliche Buch. (Ronald Pohl, 20.7.2022)