Alice Harnoncourt mit ihrem Ehemann 2016.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Wien – Die Geigerin Alice Harnoncourt, Mitbegründerin und langjährige Konzertmeisterin des Concentus Musicus Wien sowie Witwe von Nikolaus Harnoncourt, ist am Mittwoch, 91-jährig gestorben. Das gab der Concentus Musicus Wien am Nachmittag bekannt.

Auf der Facebook-Seite des Ensembles war ein kurzes Statement zu lesen: "In großer Trauer, Dankbarkeit und Bewunderung müssen wir bekannt geben, dass unsere Alice Harnoncourt heute, 20. Juli 2022 in den frühen Morgenstunden im Kreise ihrer Familie friedlich von uns gegangen ist. Ihr einzigartiges Geigenspiel, ihr unermüdlicher Einsatz für die Musik und ihr großes Verständnis für uns Musikerinnen und Musiker werden wir in liebevoller Erinnerung bewahren."

Als Alice Hoffelner am 26. September 1930 in Wien geboren, studierte sie Klavier und Geige in Wien und lernte im Rahmen ihres Studiums Nikolaus Harnoncourt kennen. Beide waren von der Alten Musik, dem Studium der ursprünglichen Aufführungspraxis von Renaissance- und Barockmusik und der Vorstellung eines Musizierens auf historischen Musikinstrumenten fasziniert. 1949 gründeten sie gemeinsam mit Eduard Melkus und Alfred Altenburger das Wiener Gamben-Quartett, 1953 den Concentus Musicus Wien, dessen Konzertmeisterin sie bis 1981 war und der das Verständnis der Alten Musik nicht nur revolutionierte, sondern auch wesentlich dazu beitrug, ihr ein breites Publikum zu gewinnen.

1953 heirateten Alice und Nikolaus Harnoncourt in Graz. Das Paar bekam vier Kinder. "Neben ihren Funktionen in der Familie ist sie die schier unerschöpfliche Kraft hinter sämtlichen künstlerischen Aktivitäten und die einzige Instanz, deren Meinung für ihn (Nikolaus Harnoncourt, Anm.) unverzichtbar ist", beschrieb sie Harnoncourt-Biografin Monika Mertl in ihrem Buch "Vom Denken des Herzens". Sie habe "eine Fülle von Macht", die sie nie ausspiele. "Im persönlichen Umgang ist sie unkompliziert, lebhaft, mädchenhaft charmant, von anteilnehmender Freundlichkeit, Wünschen prinzipiell zugänglich. (...) Den Zielen, die ihr Mann für das gemeinsame Leben gesteckt hat, hat sie sich nicht untergeordnet, sondern angeschlossen."

Goldenes Verdienstzeichen des Landes Wien

2011 erhielt das Ehepaar das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien. "Das Ehepaar Harnoncourt lebt eine künstlerische Symbiose wie kein anderes", sagte der damalige Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Alice Harnoncourt freute sich: "Endlich bekomme ich auch einmal eine Auszeichnung." 2016 war mit dem Tod von Nikolaus Harnoncourt nicht nur diese künstlerische Symbiose, sondern auch eine Ära zu Ende.

Alice Harnoncourt sorgte, dass die Ideen, die sie und ihr Mann ihr Leben lang propagiert hatten, weiterhin lebendig blieben. 2017 hat sie das Buch "Wir sind eine Entdeckergemeinschaft" mit Aufzeichnungen ihres Mannes zur Entstehung des Concentus Musicus herausgegeben, 2018 veröffentlichte sie ein Buch mit seinen Aufzeichnungen über seine Familie, 2020 gab sie seine Essays "Über Musik" heraus. Und noch heuer war sie gemeinsam mit Ö1-Redakteurin Judith Hoffmann in einem Podcast zu neu entdeckten Audio-Mitschnitten von Vorträgen des Dirigenten aus den 1970er-Jahren zu hören. Ihre Stimme und ihr Geigenspiel sind nun für immer verstummt.

Reaktionen und Würdigungen

"Alice Harnoncourt hat eine enge Künstlerehe gelebt und die Musik hat seit frühesten Tagen ihr Leben bestimmt", sagte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer anlässlich des Ablebens der visionären Geigerin und Pionierin der Alten Musik. "Sie hat maßgeblich Gründung und Erfolg des Ensembles Concentus Musicus gestaltet, das den Weg für die historische Aufführungspraxis bereitet und dem damaligen Publikum neue Hörwelten offenbart hat. In Musikaufnahmen und in Erinnerung an einmalige Klangerlebnisse wird sie uns als Solistin und Konzertmeisterin des Ensembles in Erinnerung bleiben. Meine Anteilnahme gilt ihrer Familie und ihren Musikerkolleginnen und -kollegen."

Dem Theater an der Wien war die Künstlerin "stets eine großartige und mir eine wohlwollende Partnerin für künstlerische wie organisatorische Fragestellungen", wie der scheidende Intendant Roland Geyer mitteilte. "Ihr Feinsinn und ihre tiefe Auffassungsgabe zeichneten sie als Kommunikatorin in allen Bereichen aus." Zehn szenische Produktionen habe man gemeinsam am Haus realisieren können, auch am OsterKlang-Festival war sie zwischen 2000 und 2006 wesentlich beteiligt. "Wir nehmen Abschied von einer einmaligen Künstlerin, profunden Kunstmanagerin und außergewöhnlichen Frau, die ihr ganzes Leben der Musik, der Forschungsgemeinschaft Concentus Musicus und nicht zuletzt ihrer Familie widmete." (APA, red, 20.7.2022)