In der "News"-Titelstory "Die Psychologie der Macht" ging es um die Psyche der Gegenspieler Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj.

Foto: VGN

Wien – Horst Pirker, der Herausgeber des Magazins "News" und Haupteigentümer des zugehörigen VGN-Verlags, fasste die Dinge auf Twitter präzise zusammen:

"Das Handelsgericht Wien hat die Klage des Magazins 'News' gegen den Autor Christian Ortner und den Blog 'Menawatch' im Kontext der 'Analyse' einer Gastautorin über die Präsidenten Putin und Selenskyj zur Gänze abgewiesen. Eine bittere Niederlage, die nachdenklich macht."

"Histrioniker"

Die Grazer Philosophin und Psychotherapeutin Monika Wogrolly hatte im April in "News" eine psychologische Einordnung der Kriegskontrahenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj versucht. Der Gastbeitrag erschien – eher ungewöhnlich – als Titelgeschichte des Magazins. Der freie Autor Christian Ortner kritisierte daraufhin im Blog "Mena-Watch", dass Wogrolly den ukrainischen Präsidenten als "Histrioniker" bezeichne, also im Fachjargon als eine Persönlichkeit, die "lügt und betrügt", um eine Selbsterhöhung zu erreichen. Vor allem aber habe Wogrolly diese Eigenschaft auf die jüdische Abstammung Selenskyjs zurückgeführt. Das sei antisemitisch.

Das Handelsgericht Wien schloss sich nun im Wesentlichen Ortners journalistischem Werturteil an und führt in der Begründung der Klagsabweisung aus:

"Dass die jüdische Abstammung des Präsidenten der Ukraine eine völlig untergeordnete Rolle spielte, wie die Klägerin (VGN-Verlag) behauptet, entspricht nicht dem Eindruck, den der Artikel beim verständigen Leser erweckt. So kommt nämlich ganz im Gegensatz zu der bei Putin gerade nicht erwähnten, aber allgemein bekannten und medial immer wieder hervorgehobenen Beziehung zur russisch-orthodoxen Kirche die Abstammung Selenskyjs mehrfach und auch noch im letzten Satz vor. Nach dem Eindruck des Lesers sucht also die Autorin, nicht unbedingt positive Seiten Selenskyjs durch die jüdische Abstammung zu erklären (…) Sie verknüpft also schon hier eindeutig negative Aspekte mit der jüdischen Herkunft des Beschriebenen, und dies in einer alles andere als gesicherten Weise, weil sie wiederholt die Formulierung der Vermutung wählt. Wenn sie im Weiteren Selenskyj Merkmale einer histrionischen Persönlichkeit attestiert und dann Züge des Histrionikers mit einem Vampir darstellt, vergleicht sie Selenskyjs Agieren mit einem vampirhaften Verhalten", heißt es.

Das Handelsgericht Wien führt in seiner Klagsabweisung weiter aus: "Wenn die Klägerin den Begriff 'Vampir' als in der Psychologie und Psychoanalyse völlig gängig bezeichnet, übersieht sie, dass das Magazin 'News' keine Fachzeitschrift ist, sondern sich an das breite Publikum wendet (…) So nämlich versteht der Leser Vampir schlicht als Blutsauger. Vampir und jüdische Vorfahren finden sich im selben, letzten Absatz, nur durch einen einzigen Satz getrennt, womit die Autorin dem Leser einen Zusammenhang aufdrängt. Da dem historisch gebildeten Leser bekannt ist, dass schreckliche Pogrome unter anderem durch den Vorwurf, Juden hätten das Blut christlicher Kinder für ihre Rituale verwendet, entfesselt wurden, bedient der Artikel antisemitische Stereotype. (…) In der (…) Form des Artikels 2 ('Mena-Watch', Anm.) muss sich die Klägerin daher den Vorwurf der Förderung von Antisemitismus gefallen lassen."

Wogrolly wollte eine "analytische Annäherung" machen

Wogrolly selbst hat mehrfach den Vorwurf des Antisemitismus zurückgewiesen und erklärte in einer Stellungnahme in "News": "Die Bezugnahme auf 'Vampirismus' war aber angesichts der Historie, wie ich erkennen muss, unglücklich gewählt." Der historische Konnex sei ihr nicht bekannt gewesen. Sie habe keine "Ferndiagnose" erstellen wollen (was in psychotherapeutischen Fachkreisen verpönt ist), sondern eine "analytische Annäherung": "Meine Aufgabe ist es, mögliche Persönlichkeitseigenschaften anzudenken und damit die kritische Diskussion zu fördern mit der Absicht, die Präsidenten in ihrer möglichen Verletzlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung besser verstehbar zu machen."

Dazu stellt allerdings das Handelsgericht (Richter Peter Martschini) trocken fest: "Wenn schon die Autorin die Dinge nur andenkt, sollten die Verantwortlichen der Klägerin (News-Verlag, Anm.) sie zu Ende denken, bevor sie einen Artikel veröffentlichen."

Zur Abweisung der Klage übermittelt Wogrolly eine Stellungnahme, in der sie betont: "Ich habe mit der Klage der VGN weder inhaltlich noch sonst wie zu tun und war und bin in das Verfahren in keinster Weise eingebunden." Sie habe "den Artikel nicht als Psychotherapeutin, die Ferndiagnosen stellt, verfasst, sondern um Denkanstöße zu geben". (Hans Rauscher, 28.7.2022)