Die Autorin Brita Steindwendtner nimmt Dichter prägende Orte in den Blick.

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Der Titel klingt nach Hölderlin, und ihm ist auch eines der besten Kapitel in Brita Steinwendtners neuen Dichterlandschaften gewidmet. Es ist das mittlerweile dritte Buch, das Porträts von Schriftstellerinnen und Schriftstellern versammelt und dabei Lebens- und Schreiborte in den Fokus rückt – beziehungsweise Orte, die für einzelne Werke bestimmend waren.

Das ist im Fall von Hölderlin nicht nur Tübingen, wo er im berühmten Turm seine letzten Lebensjahrzehnte verbrachte, das ist auch Bordeaux, wo er als Hauslehrer zwar nur unsichtbare Spuren hinterließ, denen die Autorin dennoch auf ihren Dichterreisen folgt.

Das Rätsel Stifter

Beginnen wir im Toten Gebirge. Da steht am Anfang, vielleicht nicht zufällig, Adalbert Stifter – das oberösterreichische Gebirge, besonders das Dachsteingebiet, ist ein bekannter Schauplatz in seinem erzählerischen Werk, von Bergkristall bis zum Nachsommer. Aber mehr als die Örtlichkeiten, die er in früheren Jahren noch selbst erwanderte, steht die Person im Vordergrund, eine, die irgendwo zwischen Vermögen und Anspruch verlorenging, ein Dichter, dessen langsames, als biedermeierlich abgestempeltes Erzählen stets mit seinem reformatorischen Geist korrelierte, ein Kind seiner Zeit und ihr im Denken dennoch weit voraus, das wird nur gerne übersehen.

Aber Steinwendtners Porträt ist diffizil genug. Vielleicht hat sich noch niemand so intensiv mit Stifter beschäftigt und eine so abgerundete Skizze seines Wesens zu Papier gebracht. Er "ist ein Rätsel geblieben", fasst die Autorin Person und Schreiben zusammen. Ein Satz so prägnant, wie sie von Hölderlin sagt: "Er war radikal."

Prägende Zeit

Vom Toten Gebirge geht die Reise tief in den Süden, an die Côte d’Azur, wo Mechtilde Lichnowsky in den Dreißigerjahren ein Refugium gesucht hat; dann an die französisch-spanische Grenze, nach Banyuls, wo Walter Benjamin vergeblich sein Leben in die Freiheit zu retten versuchte.

Dann Bordeaux, siehe Hölderlin, und wieder zurück nach Salzburg, wo zwei Größen der österreichischen Literatur eine jeweils prägende Zeit verbracht haben: Georg Trakl, in seiner Sprache, seinen Bildern ein Verwandter von Hölderlin und ebenso ein Zerrissener, wurde nicht nur 1887 hier geboren, er verdankt einzelnen Örtlichkeiten der Stadt wohl seine schönsten Gedichte.

Jahrzehnte später war es Ilse Aichinger, die in Großgmain für sich und ihre Familie ein geradezu ideales Domizil fand. Steinwendtner, die mit ihr persönlich befreundet war und ein sehr einfühlsames Fernsehporträt über sie schuf, folgt der Dichterin aber in deren literarische Anfangszeit zurück und an einen Ort, wo ihr Stern aufging: in Niendorf an der Ostsee, dort wurde Aichinger 1952 auf der Tagung der Gruppe 47 für ihre berühmte Spiegelgeschichte ausgezeichnet.

Von Niendorf geht die Reise nach Dänemark und zu Tania Blixen nach Rungstedlund, von dort aber wieder nach Salzburg, zu Stefan Zweig, der hier auf dem Kapuzinerberg die vielleicht wichtigsten Jahre seines Lebens verbracht hat: "Heimat im geistigen Europa" – bis ihm Salzburg, Österreich unleidlich gemacht wurden. 1934 stand plötzlich die Heimwehr vor der Tür: Hausdurchsuchung! Man glaubte Waffen in der Villa eines Pazifisten zu finden … Zu dieser Zeit geht auch die Ehe mit Friderike in Brüche, die Kapuzinervilla wird verkauft, weit unter Wert, ihr Besitzer als "Saujud" denunziert. Unmittelbar auf Salzburg folgten die Jahre des Exils, England, USA, Brasilien, das selbstgewählte Ende dort 1942.

Rückkehr nach Salzburg

Bei Carl Zuckmayer war es das schweizerische Saas-Fee. Nach seiner Flucht 1938 kam er zum ersten Mal hierher; 1958, als amerikanischer Staatsbürger, ließ er sich dauerhaft hier nieder, der Ort wurde zur "letzten Bleibe". Hoch oben "die Bastionen der Gletscher", "gewaltiger silberner Rahmen", so beschrieb Zuckmayer den ersten und bleibenden Eindruck.

Ein wenig aus dem Ensemble fällt August von Platen, die Spurensuche geht nach Syrakus, ans Ionische Meer, ehe die Autorin zum Schluss abermals nach Salzburg zurückkehrt, zu H. C. Artmann, mit dem sie eine lange und enge Freundschaft verband. Für den Leser zugleich eine angenehme Wiederbegegnung mit schon im Titel unverwechselbaren Werken, der legendären Botanisiertrommel oder Die Sonne war ein grünes Ei.

Nach ihrem Erfolgsroman Im blinden Spiegel (2020) hat Brita Steinwendtner neuerlich ein gewichtiges, klug und lebendig erzähltes Buch voller sprachschöner Schilderungen geschrieben. Vor allem überzeugt, wie hier Leben, Werk und Landschaft ineinander verschränkt werden, wenn es gilt, dem "verlorenen Lebensglück von Dichterinnen und Dichtern" nachzuspüren. Wer Literatur liebt und sich für deren Schöpfer interessiert, dem wird dieses Buch ein wunderbares Geschenk sein und überdies ein eindrückliches Reiseerlebnis. (Gerhard Zeillinger, ALBUM, 31.7.2022)