Dort, wo sich Sarah F. ihren Wohntraum verwirklichen möchte, steht heute noch ein Gartenhäuschen. Doch im September kommt der Bagger: Ab Herbst soll auf der Parzelle in einer Wiener Kleingartensiedlung ein zweistöckiges Holzhaus für die kleine Familie entstehen. Die Menschen dort seien eine "lustige Mischung", sagt sie: einerseits die neuzugezogenen, jungen Familien, andererseits die Alteingesessenen, die den Garten nur im Sommer nutzen. "Ein Nachbar rupft dauernd das Unkraut auf den Gehwegen aus, während die Jungen sich über jedes Grün freuen", sagt Sarah F.

Die kleinen Gartenhäuschen müssen heute oft weichen.
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Die "lustige Mischung", die sie beschreibt, hat sich in den letzten Jahrzehnten auch in vielen anderen Wiener Kleingartensiedlungen so entwickelt: Denn das Klischee von der Gartenzwergkolonie hinter mannshohen Thujen hecken ist in vielen von ihnen Geschichte. Gemüsebeete und Gartenhütten wurden abgelöst von würfeligen Häusern mit Flachdach, mit denen die im Kleingarten erlaubte Hausgröße voll ausgereizt wird.

Aus den Selbstversorgergärten für die vor hundert Jahren hungernde Bevölkerung wurden begehrte Grundstücke. Das hat die Corona-Pandemie weiter angeheizt. Die Wartelisten der 235 Vereine mit ihren fast 25.000 Kleingärten, die aktuell Mitglied im Landesverband der Kleingärtner Wiens sind, waren schon davor so voll, dass viele einen Aufnahmestopp verhängten.

Glück gehabt

Eine junge Familie im Verein Esparsette in Meidling hatte Glück. Auch bei ihnen erwachte in den letzten Jahren die Sehnsucht nach einem Garten, erzählt der junge Mann mit Brille, Käppi, Pferdeschwanz, der vor seinem Haus herumräumt. Ihr modernes Haus hat schon die Vorpächterin errichtet. Im Vorjahr ist die Familie eingezogen. "Es ist wie ein Dorf in der Stadt", sagt er über das Leben hier. Ja, man müsse sich "ein bisschen beweisen", bevor man in die Nachbarschaft aufgenommen werde: "Aber so wie in den Alltagsgeschichten bei der Spira ist es nicht."

Nur einen Steinwurf vom modernen Wohnhaus entfernt steht die "Villa Frohgemut" der Franzls, so steht es auf einem Schild beim Eingang der kleinen Holzhütte. Seit mehr als 50 Jahren kommt das Ehepaar im Sommer aus seiner Wohnung im 18. Bezirk tagsüber hierher. Früher standen auf der 180 Quadratmeter kleinen Parzelle Apfel-, Kirsch- und Birnbäume. Mittlerweile ist das kleine Refugium der Franzls altersbedingt zum Ziergarten geworden, in dem Rosen, Flieder und Hortensien blühen.

Die Klischee-Gartenzwerge sieht man in den Kleingärten immer noch – aber nicht mehr so häufig.
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Die Blumen wachsen in Meidling wie eh und je. Aber die Franzls haben in ihrem Garten schon viele Veränderungen miterlebt. Seit gut 30 Jahren dürfen die Kleingärten ganzjährig bewohnt werden, was zu einem Aufrüsten der Häuschen geführt hat. Noch eine Änderung hat die Siedlungen für immer verändert: Seit 1993 durften die Parzellen, die eigentlich von den Vereinen zur Pacht vergeben werden, unter bestimmten Umständen käuflich erworben werden.

Parzelle um 500.000 Euro

Das ist mittlerweile vorbei, seit dem Vorjahr verkauft die Stadt keine Parzellen mehr. Insgesamt kamen ihr aber in nicht einmal 20 Jahren mehr als 5000 abhanden, die heute um teures Geld gehandelt werden. Eine kleine Parzelle mit nicht mehr als 300 Quadratmetern wechselt heute schon einmal um 500.000 Euro die Hand. Mit dem dazugehörigen modernen Haus liegen die Gesamtkosten schnell bei einer Million Euro.

Spannungen zwischen Eigentümern und Pächterinnen sind da vorprogrammiert. "Die glauben, sie sind etwas Besseres", wird einem über den Gartenzaun hinweg gern zugeraunt, wenn man sich in den labyrinthartigen Wegen der Wiener Schrebergärten verliert. Eigentümerinnen und Eigentümer müssen keine Mitglieder im Verein sein – obwohl sie von der ehrenamtlichen Tätigkeit der anderen profitieren, etwa dem Instandhalten der Wege.

"Das interessiert viele Eigentümer einen Krapfen", sagt Peter Autengruber während einer Führung in der Kleingartensiedlung Predigtstuhl am Wilhelminenberg: "Aber wenn der Nachwuchs im Verein fehlt, wird es eng." Autengruber kennt die Wiener Kleingärten wie kaum ein anderer. Der Historiker war nicht in allen, aber in fast jedem schon zu Gast. Vor einigen Jahren hat er ihnen ein Buch gewidmet (Die Wiener Kleingärten. Von den Anfängen zur Gegenwart).

Friedensstiftung im Schrebergarten

Autengruber wohnt selbst in einem und kennt die Schwierigkeiten, die durch den Mix aus Eigentümerinnen und Pächtern entstanden sind. Durch Kleingartengesetze, Vereinsstatuten und Gartenordnungen ist das Zusammenleben reglementiert, etwa was die erlaubte Höhe von Nadelbäumen angeht, die in vielen Siedlungen nicht höher als fünf Meter werden dürfen. Dennoch ragen manchmal Bäume hoch wie Kirchtürme in den Himmel. "Der Verein hat nur auf Pachtgärten Zugriff", sagt Autengruber. Bei Eigentümerinnen, die sich nicht an Regeln halten, fehlt die Handhabe.

Dennoch: Dicke Luft gibt es im Kleingarten nicht häufiger als bei anderen Wohnformen. Das betont auch die Juristin und Mediatorin Daniela Havlicek, die immer wieder friedensstiftend im Schrebergarten unterwegs ist und zwischen Streitparteien vermittelt, wenn diese das wünschen: "Aber dort treten Probleme schneller auf, weil die Grundstücke klein sind, die Menschen auf engem Raum zusammenwohnen, und jeder probiert, sich zu verwirklichen", fasst sie zusammen.

Ein Beispiel: Der Kletterturm, den der eine Nachbar für die Kinder errichtet, stört die Menschen nebenan, weil ihnen die Kleinen in den Garten schauen. Und, ein Klassiker: Der Nachbar feiert laut, während die Nachbarin sich Ruhe wünscht.

Gestritten wird seit Corona generell mehr, sagt die Mediatorin, natürlich auch in den Kleingärten. Lösungen finden sich nicht immer. "Aber manchmal reicht es schon, wenn man den Nachbarn zur nächsten Feier einlädt, auch wenn er dann gar nicht kommt."

Die Zäune wachsen in die Höhe

Manche würden wohl Ferdinand Kovarik vom Verein Weidäcker in Ottakring als streitbaren Menschen bezeichnen: Fast sein ganzes Leben hat er im "Reich der Weidäcker", wie er es nennt, verbracht. Er weiß, wie es früher hier war. Heute stören Kovarik zum Beispiel die Gartenzäune vor den neuen Häusern, die, wie er auf Spaziergängen mit seinem Yorkshireterrier Tina dokumentiert, nicht ortsüblich und im Kleingarten nicht erlaubt sind.

Ein Zaun aus Holzplanken, der Passanten über den Kopf wächst und keinen Blick mehr durchlässt, regt ihn besonders auf. Kovarik, ehemaliger Mitarbeiter der Stadt, hat sich darüber schon bei unterschiedlichen Stellen beschwert. Bisher ohne Erfolg: Der Zaun steht immer noch – und Kovarik sorgt sich, dass der Trend sich ausbreitet: "Wenn man diesen Zäunen jetzt nicht Einhalt gebietet, dann macht das bald jeder", ist er überzeugt. Er könnte recht haben: Die Zäune wachsen auch in anderen Siedlungen in die Höhe, um neugierige Blicke von Swimmingpools fernzuhalten. Diese liegen angesichts immer heißer werdender Sommer im Trend und werden meist gleich mit dem Haus errichtet.

Das freut nicht alle. "Dass Swimmingpools in Kleingärten erlaubt sind, gehört hinterfragt", sagt Historiker Autengruber und begründet das mit dem zunehmenden Verlust von Grünflächen. "Da bleibt vom Garten nichts mehr übrig." Die eigentlich vorgeschriebene kleingärtnerische Nutzung rückt in den Hintergrund. In dem einen oder anderen Garten steht kein Baum mehr, die Arbeit mit einem Zwetschken- oder Marillenbaum wollen sich viele nicht mehr antun.

Menschenschlangen im Kleingarten

Besonders, dass die alten Häuschen von den Neuen meist abgerissen werden, sorgt bei den Alteingesessenen für Verwunderung. "Ich empfehle das aber", sagt der Architekt Thomas Moosmann, der selbst im Kleingarten wohnt. "Das sind Sommerhäuser aus der Zwischenkriegszeit, Wärmeschutz war da kein Thema." Einfach ist das Bauen in den Kleingärten ohnehin nicht. Die Grundstücke sind klein, die Gänge schmal, mit konventionellen Baugeräten kommt man nicht weit. Das verteuert das Bauen noch einmal.

Gleichwohl hält der Run auf die Parzellen an. Nachbarn berichten von Menschenschlangen in Siedlungen, wenn einmal ein Grundstück zu haben ist. Zur Pacht frei werden in den meisten Vereinen pro Jahr nur ein, zwei Parzellen, wenn überhaupt. Viele junge Familien sehen ein Pachtgrundstück im Kleingarten dennoch – und trotz der Ablösen, die dafür bezahlt werden müssen – immer noch als eine der realistischsten Varianten an, sich den Wohntraum im Grünen zu verwirklichen.

Nur braucht es dafür heute schon sehr viel Glück, so wie es die eingangs erwähnte Sarah F. hatte. Ihr Mann hat sich den Grund schon vor Jahren gekauft, als dieser noch etwas erschwinglicher war. Im Herbst 2023 will die Familie ihr Zuhause beziehen – und dann, wie sie hofft, auch einen grünen Daumen beim Garteln entwickeln. Das gehört im Kleingarten eben dazu. Klischeegartenzwerge sind zwar nicht geplant, "aber wir kriegen zum Einzug sicher ein paar geschenkt". (Franziska Zoidl, 30.7.2022)