Mónica de Mirandas halbstündiger Film "The Island" (2021) verschmilzt Kolonialgeschichte und Zukunft zu einem poetischen Bilderbogen. Er bleibt aber etwas diffus.
Foto: Mónica de Miranda

Zeit ist kostbar, Zeit ist Geld, Zeit vergeht viel zu schnell und muss währenddessen bestmöglich genutzt werden. Dass die Vorstellung von Zeit insbesondere im westlichen Denken eng mit dem Profit- und Fortschrittsgedanken zusammenhängt, ist ein Umstand, den das Taxispalais kritisch zu hinterfragen versucht. Das sprechendste Bild dazu kommt vom iranisch-deutschen Künstler und Filmemacher Azin Feizabadi: Ein Diaprojektor wirft den Schriftzug "NOW" im Sekundentakt auf einen Felsblock. So so, denkt man sich da gleich von wohliger Erkenntnis durchdrungen: Unsere Idee von Zeit ist also nicht in Stein gemeißelt.

Ganz so leicht machen es einem die von Taxispalais-Direktorin Nina Tabassomi kuratierten Zeitgeschichten auf Strecke aber nicht. Die Schau ist der finale Teil einer Trilogie, die die Krisen westlicher Paradigmen in den Blick nimmt. Während zuvor Hexen und Göttinnen mit Rucksäcken voller historischer und gesellschaftlicher Aufladungen in den Ausstellungsring gestiegen sind, wirkt der Titel Zeitgeschichten erst einmal denkbar unschuldig. Doch dann kommt sogleich die jüngere, von der Corona-Pandemie und den damit einhergegangenen Verwerfungen geprägte Vergangenheit ins Spiel. Zumindest schwingt sie in Vladislav Shapovalovs mehrteiliger Installation Foresight Council mit.

Der Künstler beschäftigt sich mit einer 1967 von der WHO lancierten Kampagne zur Ausrottung der Pocken mittels Massenimpfungen, zutage treten dabei die aus westlicher Perspektive "gezeichnete" Landkarte des sogenannten Globalen Südens, Propagandataktiken und – eher überraschend – die Rolle, die man der Kunst dabei zuschrieb.

Konzentrierte Auswahl

Und überhaupt, der Kunstbetrieb: Museen bewahren und sammeln, was der Aufnahme in den Kanon für würdig befunden wird, Kunsthallen legen den Finger auf den Puls der Zeit – und werden ihrerseits rückblickend daran gemessen, wie steil es auf den Karriereleitern der von ihnen gezeigten Künstlerinnen nach oben ging. Auch das sind für Tabassomi Logiken und Zeitmodelle, die es zu hinterfragen gilt. Allerdings sollte man sich keine konkreten Antworten oder Gegenentwürfe erwarten.

Auffallend ist, dass in dieser wie in den vorherigen Schauen nicht auf eine besonders prominent bestückte Künstlerinnenliste, sondern auf konzentrierte Auswahl gesetzt wird. Von Małgorzata Mirga-Tas, die derzeit den polnischen Pavillon auf der Venedig-Biennale bespielt, ist nur ein einziger Wandteppich zu sehen, der schön zeigt, wie aus alten Techniken gegenwärtige Blicke auf die Roma-Gemeinschaft entstehen.

In Mónica de Mirandas The Island verschmelzen Kolonialgeschichte und Zukunft zu einem zwar poetischen, aber auch etwas diffus bleibenden Bilderbogen, mehr unter die Haut geht die Filminstallation Uchronia, mit der Feizabadi die untere Halle bespielt. Ausgangspunkt ist eine tragische Liebessage aus dem Nahen Osten, die der Künstler in drei unterschiedlichen Berliner Szenarien mit Themen wie Migration, Identität und Ausgrenzung verknüpft. Man sollte Zeit mitbringen, um sie sich anzusehen. (Ivona Jelcic, 30.7.2022)