Alles etwas seltsam: Daniel Kaluuya, Keke Palmer und Brandon Pere (v. li.) in "Nope".
Universal Pictures

Von Hollywood aus gesehen ist der Wilde Westen im Osten (und auch ein bisschen im Norden). Das hat mit der besonderen Geografie Nordamerikas zu tun, das ja bekanntlich in einer Bewegung vom Atlantik zum Pazifik erobert wurde. Als in Kalifornien die Filmindustrie Fuß fasste, war der Westen schon beinahe ein Mythos. Und irgendwann begannen die Exkursionen in die andere Richtung, zurück ins Landesinnere, um herauszufinden, was denn unterwegs bei der Landnahme vielleicht übersehen worden war.

Zu diesen Revisionen fügt der afroamerikanische Starregisseur Jordan Peele nun ein herausragendes Kapitel hinzu. Nope bleibt zwar weitgehend im Einzugsgebiet von Hollywood, spielt aber doch in einer Gegend, die abgelegener und verwunschener kaum sein könnte. Mentale Geografie und bedeutsame Landschaft sind ein entscheidender Aspekt in dieser Geschichte eines Familienunternehmens, das Pferde für das Filmgeschäft bereitstellt: Haywood Hollywood Horses.

Die Geschäfte liefen schon einmal besser, dann stirbt auch noch der Patriarch durch einen seltsamen Unfall, der unter "fiel wohl was aus einem Flugzeug" verbucht wird. Das Röntgenbild seines Kopfes, durch den ein Schnitt geht, der auch das rechte Auge halbierte, ist eines der ersten Schocksignale in Nope.

Der Sohn Otis Junior, genannt OJ, soll also das Traditionsunternehmen weiterführen, unterstützt von seiner dynamischen, aber nicht immer verlässlichen Schwester Emerald, genannt Em. Die Haywoods sind schwarz, das sollte im heutigen Hollywood, das sich umfassend um Diversität bemüht, eher hilfreich sein. Aber so, wie der großartige Daniel Kaluuya den OJ spielt, trägt der eher noch die vielen Jahrzehnte der Marginalisierung mit sich herum, in denen das Pferdegeschäft der Haywoods irgendwie sein Auskommen finden musste.

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Wagemutige Genremischung

Es ist auch sicher kein Zufall, dass weit draußen, in dem kargen Tal, in dem der Familiensitz der Haywoods zu finden ist, sonst eigentlich nicht viel ist. Außer einem heruntergekommenen Western-Themenpark, der mit einem vielsagenden Schild in Richtung Osten endet: Hier beginnt Out Yonder, also ein Land hinter allem, ein Land, wie sich bald herausstellt, auch über allem. Ein Land nicht zuletzt der wagemutigen Genremischung. Es gab zwar schon mehrfach Kreuzungen von Western und Science-Fiction, aber dabei hat nie jemand versucht, ernsthaft den Geist von John Ford und Ed Wood mit gleichem Recht und gleicher Leidenschaft zu beschwören.

Jordan Peele war im US-Showgeschäft kein Unbekannter, als er 2017 mit Get Out seinen ersten Spielfilm vorlegte. Aber selten hatte ein Debüt derartige Wirkung wie diese angemessen krasse Satire auf ein liberales Ostküstenmilieu, das einem schwarzen Schwiegersohn immer unheimlicher wird.

Die Freiheit, die Peele nicht zuletzt auch aufgrund seines Oscars für das Beste Drehbuch mit Get Out erlangte, nützte er 2019 für den eigenwilligen Horrorfilm Wir (Us). Mit Nope legt er an Exzentrik noch einmal deutlich nach. Immerhin ist das ein Film, der es mit dem Sommerpublikum aufnehmen will, ein Film, der also durchaus kommerzielle Hoffnungen tragen muss und auch keineswegs billig war. Und doch lässt Peele sich in seiner Bereitschaft zur Irritation nicht im Geringsten beirren.

Nope nimmt sich viel Zeit, um allmählich zu seinem Kernanliegen vorzudringen: eine Begegnung der dritten Art, die zu einem Medienereignis verhelfen soll. Beinahe könnte man meinen, dass Peele zu viele Fäden auslegt, bei denen er keineswegs immer Interesse zeigt, sie zum Ende hin kunstvoll zu verknüpfen – zum Beispiel die Geschichte von Ricky Park, der in den 1990er-Jahren als Kinderdarsteller in einer Sitcom mit einem Schimpansen auftrat, die ein traumatisches Ende fand.

Wildeste Ideen

Park betreibt nun eine kleine Pferdeshow unweit des Haywood-Anwesens und ist für einen Cowboy-Darsteller eine zumindest unorthodoxe Wahl. Oder der Kameramann Antlers Holst (endlich wieder einmal eine große Rolle für Michael Wincott), der mit einer analogen Kamera etwas aufnehmen soll, was sich nur einem Auge erschließt, das für die wildesten Ideen offen ist.

Nope wirkt immer wieder episodisch und fügt sich doch am Ende zu einem ganz großen Film zusammen, zu einer verwegenen Legende von Dingen, die Hollywood so von sich nie wissen wollte. Und selbst wenn man an manchen Details dramaturgischen Anstoß nehmen wollte: Die Nachtszenen allein sind einen Kinobesuch wert, und auch darüber hinaus ist Nope ein visuelles Ereignis ersten Ranges. Aber auch ein intellektuelles. (Bert Rebhandl, 10.8.2022)