Neos-Tirol-Landessprecher Dominik Oberhofer will in den nächsten fünf Jahren mitregieren.

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Seit 2018 sitzen zwei Neos-Mandatare im Tiroler Landtag. Landessprecher und Spitzenkandidat Dominik Oberhofer hat es mit seinem Team geschafft, sich in der Tiroler Landespolitik als Oppositionskraft zu etablieren. Bei der Wahl am 25. September wollen die Pinken ihre Mandatszahl nun verdoppeln und ein zweistelliges Prozentergebnis einfahren, um den Sprung auf die Regierungsbank zu schaffen.

STANDARD: Vor der Wahl vor fünf Jahren waren Sie noch hin- und hergerissen, ob sie mit den Neos lieber in Opposition gehen oder Regierungsverantwortung übernehmen wollen. Diesmal haben Sie sich bereits vorab klar fürs Mitregieren ausgesprochen. Allerdings am liebsten in einer Dreierkoalition. Warum und mit wem?

Oberhofer: Nur in einer Dreierkoalition. Ich glaube, das ist die Konstellation, die wir derzeit in Tirol brauchen. Wir müssen der ÖVP endlich etwas entgegensetzen. Das funktioniert in einer Zweierkoalition nicht. Deutschland ist da Vorbild. Habeck und Lindner haben es vorgemacht (Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP), Anm.). Zuerst haben die beiden sich geeinigt, und dann sind sie auf die großen Volksparteien, in dem Fall letztlich die SPD, zugegangen mit ihren ausverhandelten Papieren. So etwas braucht es auch in Tirol.

STANDARD: Also würden Sie mit den Grünen solche Gespräche führen?

Oberhofer: Mit allen! Mit der Liste Fritz kann ich es mir sehr gut vorstellen. Mit den Sozialdemokraten und den Grünen haben wir in den vergangenen fünf Jahren auch gut zusammengearbeitet, aber mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten.

STANDARD: Die FPÖ schließen Sie als möglichen Partner aus?

Oberhofer: Mit der FPÖ würde das ideologisch nicht funktionieren, darüber brauchen wir gar nicht diskutieren.

STANDARD: Haben Sie bereits bei den möglichen Partnern vorgefühlt in der Sache?

Oberhofer: Das wird nach der Wahl passieren, wenn das Ergebnis da ist. Die SPÖ zum Beispiel ist überzeugt, dass sie einen Zweier vor dem Ergebnis schafft. Ich werde alles tun, um das zu verhindern. Weil das dem Land nicht guttut, denn dann ist der Schorschi (Georg Dornauer, SPÖ-Spitzenkandidat, Anm.) Ministrant der ÖVP. Das Gleiche sehe ich bei Gebi Mair, der im letzten Jahrzehnt bewiesen hat, dass er sich gegenüber dieser übergriffigen Tiroler Volkspartei nicht durchsetzen kann. Anders sehe ich das bei der Liste Fritz, der würde ich zutrauen, sich durchzusetzen.

STANDARD: Welche Ressorts würden die Neos gerne übernehmen?

Oberhofer: Bildung und Wirtschaft. Aber ob wir uns überhaupt an den Verhandlungstisch setzen, entscheidet sich am Wahltag. Wenn die ÖVP nämlich eine ordentliche Watschen bekommt, werden wir uns weigern, zu verhandeln, bevor die nicht in ihrem eigenen Keller aufräumen – sprich Corona-Förderungen zurückbezahlen, Postenschacher eindämmen und die Förderpolitik neu aufstellen. Diesen Druck werden wir aufbauen. Ich schätze Toni Mattle (ÖVP-Spitzenkandidat, Anm.) als seriösen und kollegialen Politiker, aber seine Handschlagqualität wird sich bei den ersten Sondierungsgesprächen zeigen.

STANDARD: Sollte Mattle für die ÖVP tatsächlich so ein schlechtes Ergebnis einfahren, wird er sich dann überhaupt an der Parteispitze halten können, um diese Verhandlungen zu führen?

Oberhofer: Die ÖVP ist mir umso lieber, je schwächer sie ist. Weil sie immer übergriffig auf Koalitionspartner reagiert. Aber die ÖVP hat in Tirol in den letzten 77 Jahren auch viel Gestaltungswillen gezeigt und viel Positives geleistet. Nur von ihrem Zugang zur Macht muss diese Partei geheilt werden. Sie ist korrupt und anfällig für unsaubere Politik. Bei Mattle wird sich zeigen, ob er denselben Fehler wie Bundeskanzler Karl Nehammer begeht und alles akzeptiert und so weitermacht wie bisher, nur um sich an der Macht zu halten und die Partei intern zu befrieden. Oder ob er am Wahltag die Kraft entwickelt, auf den Tisch zu hauen und zu sagen: Stopp, so geht das nicht weiter!

STANDARD: Mattle kandidiert ohne den Amtsinhaberbonus und muss die zerstrittene ÖVP einen. Kann er daneben überhaupt noch so viel Kraft entwickeln?

Oberhofer: Ich glaube, dass es zu früh ist abzuschätzen, in welche Richtung sich die ÖVP entwickelt. Aber wenn das Ergebnis am Wahltag schlecht ist, wird sich die Truppe hinter Mattle sammeln müssen und Reformen in Angriff nehmen. Platter hat sich ja aus dieser Wahl gestohlen. Und zwar nur aus dem Grund, weil es ihm nicht in die Vita passt. Er kann nicht liefern, er hat keine Antworten für die aktuellen Probleme. Jetzt sagt er: "Arrivederci, ich schleich mich, soll wer anderer das übernehmen." Das Gleiche passierte mit den Grünen im Land, wir haben also eine Regierung auf der Flucht. Da ist nichts mehr übrig.

STANDARD: Angesichts der aktuellen Probleme wie der Energiekrise, welche Antworten haben die Neos für den kommenden Herbst?

Oberhofer: Zuerst muss man den Leuten die Wahrheit sagen, aber dazu fehlt den Politikerinnen und Politikern hierzulande der Mut.

STANDARD: Und was wäre diese Wahrheit?

Oberhofer: Die Wahrheit ist, dass wir – und da sind sich alle internationalen Experten einig – ein Riesenproblem mit der Gasversorgung bekommen. Und wenn wir angesichts explodierender Preise nicht Gas einsparen, wird das eine Katastrophe geben. Das Zweite ist die Inflation, da sehen wir derzeit nur das Problem Ukraine-Krieg. Aber das stimmt nicht. Wir zahlen jetzt die Zeche für die ungelösten Krisen des letzten Jahrzehnts. Allein die Corona-Pandemie wurde in Tirol mit einer Milliarde Euro neuer Schulden finanziert. Eine Milliarde, von der nur knapp 200 Millionen Euro tatsächlich in die Bekämpfung von Corona und den Folgen flossen. Der Rest waren Förderungen und Investitionspakete an die Adlerrunde und die schwarze Klientel. Wir Neos waren immer dagegen, denn es ist eine Gesundheits- und keine Wirtschaftskrise. Denn die Zinswende steht vor der Haustür, und dann zahlen wir als Land 50 Millionen Euro Zinsbelastung zusätzlich. Das ist mehr als die Kinderbetreuung in ganz Tirol kostet.

STANDARD: Die Menschen sind also aufgefordert, Energie zu sparen und Opfer zu bringen?

Oberhofer: Ja, Krisenmanagement eben. Den Leuten klarmachen, dass wir 20 bis 30 Prozent Strom und Gas einsparen müssen. Da ist jeder und jede in die Verantwortung zu nehmen, sonst schaffen wir das nicht.

STANDARD: Gilt das auch für den Industriestandort Tirol, der zum Teil sehr energieintensiv ist?

Oberhofer: Ja, und zwar zuerst für die Skiindustrie, denn dagegen ist jede andere Industrie in Tirol ein, bitte um Entschuldigung, Lärcherlschas. Allein die Tiroler Seilbahnen verbrauchen in der Wintersaison gleich viel Strom wie die Stadt Graz in einem ganzen Jahr. Ich verstehe nicht, wieso selbsternannte Vertreter unserer Tourismusbranche à la Franz Hörl (ÖVP-Seilbahnsprecher, Anm.) hier dem Land und dem Wirtschaftsstandort schaden. Die sind zum Beispiel gegen Windenergie. Wir Neos waren die einzige Partei im Tiroler Landtag, die einen Antrag zu Windenergie eingebracht hat. Schwarz-Grün hat sich massiv dagegen gewehrt.

STANDARD: Welche Idee haben die Neos in Sachen Windenergie, dazu heißt es ja seitens der ÖVP, es gebe kaum geeignete Standorte?

Oberhofer: Ja, Experten sagen, mit Windrädern wird das in der Inntalfurche kaum klappen. Aber unser Vorschlag wäre, dass wir auf der Autobahn Windkraftwerke installieren, um den Abwind des Lkw-Verkehrs zu nutzen. Und Windräder dort, wo sie Sinn machen: am Berg, wo Skigebiete sind. Denn dort hat man den Anschluss und mit Schneekanonen und Seilbahnen die größten Energiefresser. Ich verstehe nicht, wieso sich die ÖVP dagegen wehrt. Ich rede ja nicht von Naturschutzgebieten, sondern von den intensivst genutzten Kulturlandschaften, wie etwa dem Skigebiet Sölden. Da wird man wohl Platz für Windräder finden.

STANDARD: Und wie stehen Sie zum Ausbau der Wasserkraft?

Oberhofer: Wasserkraftausbau hat einen gravierenden Nachteil: den Faktor Zeit. Und bei Kleinkraftwerken wäre ich vorsichtig, gerade was den Fischbestand angeht. Da nicht alles geeignet ist. Dazu muss man wirklich jedes Projekt mit dem Landesumweltanwalt prüfen. Was aber keine Frage ist: Wir brauchen Speicherkraftwerke. Dazu bekennen wir uns, das ist die Zukunft. Vor allem hinsichtlich Vorbeugens eines Blackouts brauchen wir in den Bergen solche Pumpspeicher. Die Schweiz und Frankreich schaffen den Mix aus Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft. Aber nach zehn Jahren schwarz-grüner Landesregierung sind wir in Österreich Schlusslicht beim Photovoltaikausbau, und Windkraft gibt es gar nicht bei uns.

STANDARD: Transitverkehr ist ein weiteres ungelöstes Problem in Tirol. 2018 haben Sie gesagt, der Verkehr wird nicht weniger, sondern mehr werden, und man solle sich darauf vorbereiten. Das ist so eingetreten. Nun drohen aber einige Schutzmaßnahmen zu fallen, weil dank moderner Lkw-Technik die Luftgüte trotz steigender Verkehrszahlen besser wurde. Welche Lösungen haben die Neos parat?

Oberhofer: Der Lärm ist immer noch eine Riesenbelastung für die Bevölkerung und die Natur. Die Zukunft ist die Schiene. Wir bauen mit dem Brennerbasistunnel (BBT) das größte Tunnelprojekt Europas, da müssen wir noch mehr Gas geben, was die Umsetzung und die Zulaufstrecken angeht. Wir Liberale setzen uns auf europäischer Ebene sehr dafür ein. Wir haben nun auch einen liberalen Verkehrsminister in Berlin, den man überzeugen muss, die Zulaufstrecken umzusetzen. Das ist für Deutschland machbar, aber nur auf unterirdischen Trassen. Dazu braucht es dasselbe Finanzierungsmodell wie für den BBT. Dann wird dieses Projekt den Transitverkehr revolutionieren, was die Geschwindigkeit und Stabilität angeht.

STANDARD: Aber bis der BBT fertig ist, wird es noch bis 2030 oder länger dauern.

Oberhofer: Das ist nicht in Stein gemeißelt. Experten sagen, Hauptprobleme sind das Geld und Ausschreibungen. Die Ausschreibungsformalitäten haben den BBT immer wieder zurückgeworfen. Da wären wir wieder beim Thema saubere Politik. Denn wenn es im ÖVP-Umfeld Interessen gibt, die bedient werden müssen, wirft einen das zurück. Würde man so einen Prozess von Beginn an sauber ansetzen, hätte man sich drei, vier Jahre gespart.

STANDARD: Aber löst der BBT auch das Verkehrsproblem im Außerfern?

Oberhofer: Ja, weil sich der Verkehr verlagern wird. Dorthin, wo er hingehört: auf die Schiene. Das ist die Zukunft.

STANDARD: Ein anderes Diskussionsthema in Tirol war zuletzt der Gletscherskilauf. Sie haben sich immer dafür ausgesprochen, weil Sie Gletscher als einzig realistische Zukunft des Skisports sehen. Bleiben Sie dabei?

Oberhofer: Ja, denn ich glaube, dass die Skigebiete, die wir in Tirol haben, zum Teil heute schon nicht mehr überlebensfähig sind. Alles unter 1.500 Metern wird heute schon rein von der öffentlichen Hand finanziert. Die schwarz-grüne Landesregierung war großzügiger als jede andere und hat 200 Millionen Euro an Förderungen ausgeschüttet. Wir brauchen aber eine offene Diskussion in Tirol, welche Skigebiete wir zurückbauen. Denn wir haben viel zu viele, die nicht mehr rentabel sind. Es ist nicht Aufgabe der Steuerzahler, im Land mit der höchsten Skigebietsdichte für die aufzukommen, die sich nicht mehr rechnen. Uns muss klar sein, dass letztlich nur der Skilauf auf Gletschern oder eben über 2.500 Meter Seehöhe erhalten bleiben wird.

STANDARD: Neben Wirtschaft würden die Neos gern das Bildungsressort übernehmen. Welche Ideen haben Sie für Reformen in dem Bereich?

Oberhofer: Wir haben das zweitteuerste Schulsystem Europas, aber es ist nicht effektiv, und vor allem kommt das Geld weder bei den Pädagoginnen und Pädagogen noch den Schülerinnen und Schülern an. Für mich ist es daher Koalitionsbedingung, dass wir die Elementarpädagogik nicht mehr als Abgabestelle für berufstätige Eltern sehen, sondern als die wichtigste Bildungseinrichtung, an der Chancen für Kinder verteilt werden. Darum muss der Anspruch gesetzlich verankert sein, und es muss gratis sein.

STANDARD: Was wäre ein konkreter Schritt, den die Neos im Bildungsbereich umsetzen wollen?

Oberhofer: Ganz konkret: Warum schaffen wir es in Tirol nicht, dass die Elementarpädagoginnen und Elementarpädagogen so wie die Volksschullehrerinnen und Volksschullehrer beim Land angestellt werden? Warum müssen die in teils prekären Arbeitsverhältnissen bei sehr unterschiedlicher Entlohnung arbeiten? In Niederösterreich funktioniert das. Bei uns fliehen die Pädagoginnen und Pädagogen reihenweise, weil sie unter diesen Bedingungen nicht arbeiten können. Statt auf eine Verbesserung der Qualität ist unser Bildungssystem allein auf Quantität ausgelegt.