In begehrten Metropolen wie Peking, Schanghai und Shenzhen fallen die Häuserpreise – und Verkäufe gehen zurück. Der Sektor macht allerdings ein Drittel der chinesischen Wirtschaftsleistung aus.

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Noch ist die Erinnerung an 2011 wach in den Köpfen vieler Anleger. Damals legte Peking ein milliardenschweres Infrastrukturpaket auf und baute Zugstrecken, Häfen und Highways im ganzen Land. Die gewaltige Nachfrage aus dem 1,3-Milliarden-Einwohner-Land wirkte so positiv auf die Weltkonjunktur, dass Rezessionsängste verschwanden. Bei vielen keimt die Hoffnung, dass die Kommunistische Partei Chinas auch dieses Mal mit viel Geld den Karren aus dem Dreck zieht. Nur ist die Lage in China rund zehn Jahre später eine völlig andere.

Für einen Moment schimmerte an den Märkten Anfang der Woche Hoffnung auf. Die chinesische Zentralbank hatte überraschend eine Senkung der Zinsen bekanntgegeben. Die seit Monaten schwer gebeutelten chinesischen Aktien stiegen daraufhin kurz und schienen sogar westliche Aktien mitzuziehen.

Marginale Zinssenkung

Auch wenn die Zinssenkung eher marginal ist – der Referenzzins für einjährige Darlehen fiel von 2,85 und 2,75 Prozent und der für Reverse-Repo-Geschäfte von 2,1 auf 2,0 Prozent –, so stemmt sich die chinesische Zentralbank gegen den internationalen Trend. Die meisten Währungshüter der Welt, allen voran die amerikanische Federal Reserve Bank, heben derzeit die Zinsen an und beenden die umstrittenen Ankaufprogramme von Staatsanleihen. Damit will man die stark gestiegene Inflation in den Griff bekommen.

Der chinesische Yuan fiel daraufhin leicht im Kurs. Allerdings wird die chinesische Währung nur in einem engen Bereich frei gehandelt. Einige Analysten mutmaßen, dass bald eine Abwertung des Yuan folgen könnte. Ein billigerer Yuan würde die chinesische Exportwirtschaft stimulieren.

Inflation wenig relevant

Inflation spielt anders als im Westen in China keine große Rolle. Zwar sind die Verbraucherpreise auch etwas stärker als sonst gestiegen. Mit einer Teuerungsrate von 2,7 Prozent aber fallen sie kaum ins Gewicht. Der Grund: Peking hat sich in den vergangenen Jahren weder an der ultralockeren Geldpolitik westlicher Notenbanken beteiligt, noch leidet es unter den Lieferengpässen, die die Regierung selbst verursacht. Zudem beteiligt sich Peking nicht an den Sanktionen gegen Russland und bezieht weiter russisches Erdgas und Öl.

Hintergrund für die Zinssenkung dürfte die schwelende Immobilienkrise sein. Die Häuserpreise fallen, und die Verkäufe gehen selbst in den sogenannten Tier-1-Städten, also begehrten Metropolen wie Peking, Schanghai und Shenzhen, zurück. Der Sektor aber steht für rund ein Drittel der chinesischen Wirtschaftsleistung.

Wackelkandidat Evergrande

Nachdem im vergangenen Jahr der zweitgrößte Immobilienkonzern Evergrande in Zahlungsschwierigkeiten geraten ist, versucht die Regierung, ein "Soft Landing" des Sektors herbeizuführen. Das aber gestaltet sich schwieriger als gedacht. Immer wieder flackern Brandherde auf. Zuletzt gerieten im Juni mehrere kleinere Banken in der Provinz Henan in Zahlungsschwierigkeiten. In der Folge kamen tausende Kleinanleger nicht an ihr Geld.

Und weil vielen Immobilienunternehmen derzeit das Geld fehlt, um bereits verkaufte Wohnungen fertigzustellen, kam es kürzlich zu Zahlungsboykotts. Wütende Bürger stellten die Ratenzahlungen für ihre Immobilien ein, bis die Unternehmen diese weiterbauten.

Stockende Wirtschaft

Auch sonst lahmt die chinesische Wirtschaft. Die Umsätze im Einzelhandel und das Verbrauchervertrauen verharren seit März auf einem historisch niedrigen Niveau. Schuld daran dürfte auch die Zero-Covid-Politik der Regierung haben. Immer wieder überziehen die Behörden Millionenstädte mit strikten Ausgangssperren. Die Wirtschaftsmetropole Schanghai stand rund drei Monate still. Derzeit sitzen hunderttausende Chinesen auf der Ferieninsel Hainan fest, weil es dort zu einigen Neuinfektionen gekommen war.

Ebenso nicht zu unterschätzen ist die steigende Jugendarbeitslosigkeit. Derzeit sind knapp 20 Prozent der 16- bis 24-Jährigen ohne Arbeit. Das wiederum ist ein Unruhe- und Destabilisierungsfaktor für die Herrschaft der KP. (Philipp Mattheis, 17.8.2022)