Es war nicht das erste Mal, dass der Verwaltungsgerichtshof die Linzer Verwaltungsrichterin außergewöhnlich deutlich zurechtwies.

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Ende Dezember 2020 findet sich ein türkischer Staatsbürger, der in Österreich geboren wurde, in einem Verhandlungssaal des Bundesverwaltungsgerichtes, Außenstelle Linz, wieder. Er bekämpft eine Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Dieses hatte dem knapp 30-jährigen Mann wenige Monate zuvor einen Bescheid geschickt, der besagte, dass er Österreich verlassen müsse. Nach mehrmaligen Verurteilungen unter anderem wegen Suchtgifthandels und Diebstahls erließ das BFA eine Rückkehrentscheidung und ein zehnjähriges Österreich-Einreiseverbot. Die Abschiebung wurde für zulässig erklärt, eine Frist für die freiwillige Ausreise gab es nicht. Der Türke, der auch ein 2014 in Österreich geborenes Kind hat, erhob dagegen Beschwerde.

Zuständig für derartige Beschwerden ist in erster Instanz das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Das Gericht entscheidet unter anderem auch über die Zuerkennung von Asyl oder subsidiärem Schutz. Dabei sind die Entscheidungen des BVwG immer wieder Kritik von Juristinnen und Juristen ausgesetzt. Bei manchen Richtern wisse man schon im Vorhinein, wie das Verfahren ausgehen werde, kritisierte vor kurzem ein Experte. Zuletzt wurde eine Entscheidung des Vizepräsidenten publik, in der dieser einem schwulen Mann aus Bangladesch in Österreich kein Asyl gewährte. "Grob verkannt" hatte der Richter damit die Rechtslage, wie der Verfassungsgerichtshof – die nächsthöhere Instanz – später entscheiden sollte.

Familienleben muss ausreichend berücksichtigt werden

Im Fall des in Österreich geborenen Türken wog die Richterin die Gefahr für die öffentliche Ordnung, die von ihm ausgeht, mit seiner familiären Bindung an Österreich ab. Das ist auch Standard, wie der Anwalt des Türken, Sinan Dikme von der Kanzlei Rast & Musliu, schildert. "Das BVwG muss immer abwägen, was für und was gegen eine Abschiebung spricht. Dafür sprechen natürlich Straftaten, dagegen sprechen aber ein Familienleben und die Integration in Österreich", erklärt Dikme im Gespräch mit dem STANDARD. Normalerweise werden deswegen Familienangehörige auch vom Gericht angehört, das tat die Richterin in diesem Fall aber nicht. Außer der Richterin, dem Anwalt und seinem Mandanten war nur die Schriftführerin im Raum.

Der Verwaltungsgerichtshof, der die Entscheidung der Richterin schließlich aufhob, erklärte aber in seinem Erkenntnis, dass die Richterin sich zwar einen persönlichen Eindruck des Mannes verschaffte, die bloße Durchführung einer Verhandlung aber nicht ausreicht, "vielmehr ist die Verhandlung so zu gestalten, dass der betreffende Fremde die Möglichkeit hat, sich auch mit zu seinen Gunsten sprechenden Aspekten Gehör zu verschaffen, und eine unvoreingenommene Beurteilung seiner Persönlichkeit stattfindet". Dazu komme noch, dass das BVwG das Familienleben des Revisionswerbers mit seinem minderjährigen Sohn nicht ausreichend berücksichtigt hat. Dass die familiäre Bindung nicht ausgeprägt genug sei, hätte die Richterin nicht ohne beantragte Einvernahmen seiner Angehörigen feststellen dürfen. Die zugunsten des Mannes sprechenden Ergebnisse hätten außerdem nicht ausreichend Niederschlag in der Entscheidung gefunden.

Ein weiteres rechtlich bemerkenswertes Detail des Erkenntnisses ist, dass der VwGH darin ausdrücklich festhielt, dass sich die BVwG-Entscheidung schon deswegen als rechtswidrig erwies, weil eine Norm aus dem BFA-Verfahrensgesetz weiterhin in der Gesamtbewertung eines Falles zu berücksichtigen ist, obwohl sie bereits 2018 aufgehoben wurde. § 9 Abs 4 des BFA-VG erklärte bis 2018, dass gegen Drittstaatsangehörige, die von klein auf in Österreich aufgewachsen sind und langjährig rechtmäßig hier waren, keine Rückkehrentscheidung erlassen werden darf.

"Sogar für einen Türken wie Sie"

Das Auffälligste an der Causa ist aber wohl die Verhandlungsführung im Dezember 2020. Auch für Anwalt Dikme war diese ungewohnt. Mehrmals bat er im Laufe der Vernehmung des Mandanten um eine objektive Verhandlungsweise. Der Grund dafür findet sich auch im VwGH-Erkenntnis. "Der Unterschied zwischen Reden und Schreiben muss sogar für einen Türken wie Sie klar sein", sagte die Richterin zu dem Mann, der seine Abschiebung bekämpfen wollte. Und auf die Frage nach österreichischen Freunden des Mannes äußerte sie als Nachfrage: "Ich meine richtige Österreicher, nicht türkischstämmige Österreicher." Anwalt Dikme forderte eine Aufnahme dieser Aussagen ins Protokoll und fügte sie in das offizielle Protokoll hinzu, das dann in den Akt wanderte. Auch der VwGH zitierte diese nun, Dikme erhielt auch Nachrichten von Kolleginnen und Kollegen, die sich glücklich zeigten, dass dieser Missstand nun auch von dem VwGH festgehalten worden war.

Erkenntnis zu Befangenheit von 2019

Doch es war nicht das erste Mal, dass der VwGH die Vorgehensweise dieser Richterin ausdrücklich kritisierte. 2019 befand der VwGH die Richterin sogar für befangen. In dem Fall ging es um einen Asylwerber, ebenfalls ein türkischer Staatsbürger. "Schon die Bezeichnung des Revisionswerbers als 'drogensüchtiger Dealer' sowie die Äußerung, er habe eine Österreicherin geheiratet und dann mit ihr ein Kind gezeugt, um 'dann neuerlich einen unbegründeten Asylantrag zu stellen, auf sein Familienleben zu pochen und einen Aufenthalt im Bundesgebiet so zu erzwingen zu versuchen', stellen gravierende verbale Entgleisungen dar", schrieb das Höchstgericht damals.

Dass die Richterin die Einstellungszusage eines "Landmannes" relativierte, weil diese wohl "eher eine Gefälligkeit unter Landsleuten" darstelle, sei laut VwGH geeignet gewesen, erhebliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu begründen, "stellt dies doch eine diskriminierende Wertung eines vorgelegten Beweismittels – allein in Abhängigkeit von der Herkunft des Erklärenden – dar". Es sei daher "unvertretbar" gewesen, "dass die entscheidende Richterin derartige Äußerungen tätigte und sich dennoch nicht wegen Befangenheit der Ausübung des Amtes enthielt", so der VwGH.

Nachfragen des STANDARD bei mehreren mit Asyl- und Fremdenrecht vertrauten Juristinnen und Juristen zeigten, dass der Richterin auch ein derartiger Ruf vorauseilt. Aber manche sehen das Problem auch größer. Derartige Aussagen kämen "regelmäßig" auch bei anderen BVwG-Richterinnen und -Richtern vor, sagt Julia Kolda, Anwältin in Steyr, zum STANDARD. Sie ist unter anderem auf Asyl- und Fremdenrecht spezialisiert. "Respektlos" sei als Beschreibung für den Umgang mancher Richter mit Betroffenen noch untertrieben, und das, obwohl diese als Vertreter der Republik der Objektivität verpflichtet sind. Kolda sieht das Problem aber auch nicht auf die BVwG-Außenstelle Linz beschränkt, wo die erwähnte Richterin tätig ist. "Es passiert in Graz, es passiert in Linz, in Innsbruck und in Wien", zählt sie die vier Standorte des BVwG auf. (Levin Wotke, 21.8.2022)