Aufgebrochene Büros in Ramallah.

Foto: ABBAS MOMANI / AFP

Die Beschäftigten einiger der prominentesten palästinensischen Menschenrechtsorganisationen standen am Donnerstag vor verschlossenen Türen. In den frühen Morgenstunden waren israelische Soldatinnen und Soldaten in die Büros von sieben humanitären Organisationen in Ramallah eingedrungen. Sie durchsuchten Schränke, konfiszierten Computer und Drucker und nahmen Unterlagen mit. Dann versiegelten sie die Türen mit Eisenplatten und hinterließen eine militärische Anordnung: "Mit dem heutigen Datum ist diese Einrichtung für illegal erklärt."

Manche der Organisationen werden von der EU und von mehreren EU-Staaten finanziell unterstützt, teils seit vielen Jahren. Im Oktober hatte das israelische Verteidigungsministerium unter Minister Benny Gantz die Vereine auf die Terrorliste setzen lassen. Der Vorwurf: Die Organisationen würden Geldwäsche betreiben und Spenden und Subventionen an die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) weiterleiten. Die PFLP wird von der EU als Terrorbewegung eingestuft.

EU reagierte nicht im Sinne Israels

Israel forderte die EU auf, die Geldflüsse an die sechs NGOs umgehend einzustellen. Es mag für Jerusalem überraschend gekommen sein, dass die meisten EU-Staaten darauf nicht reagierten. Die EU-Kommission fror ihre Unterstützung für eine der NGOs zwar vorerst ein. Nach einer Ermittlung der EU-Antibetrugsbehörde Olaf, die keine Terrorverbindungen finden konnte, begann die Förderung aber wieder zu fließen. Und nicht nur das: Vor einem Monat übermittelten neun EU-Mitglieder dem israelischen Außenministerium eine gemeinsame Erklärung. Darin betonten sie, dass man die Terrorvorwürfe gegen die NGOs "sorgfältig und umfassend" überprüft habe. Die von Israel vorgelegten Belege seien aber nicht überzeugend. Man werde an der Förderpraxis daher auch weiterhin festhalten. Österreich hat sich der Erklärung nicht angeschlossen.

"Wir sind jetzt in einer Art Defensivmodus", erzählt Aseel Al-Albajeh, Juristin bei der Menschenrechtsorganisation Al-Haq, der wohl prominentesten der betroffenen NGOs. "Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass jemand von unseren Beschäftigten in Präventivhaft genommen wird." Israel wendet Freiheitsentzug auch ohne strafgerichtliches Ermittlungsverfahren an, wenn es sich um palästinensische Bürgerinnen und Bürger handelt. Einzelne NGO-Vertreterinnen und -Vertreter wurden in den vergangenen Monaten bereits von Israel mit Reisebeschränkungen belegt.

"Natürlich geht es ihnen darum, unsere Fördergeber einzuschüchtern", glaubt Aseel Al-Albajeh. Ohne Geld aus dem Ausland wären die Vereine kaum überlebensfähig.

Prominente NGO

Al-Haq ist eine der ältesten palästinensischen Menschenrechtsorganisationen, vielleicht auch die prominenteste. Die NGO dokumentiert Grundrechtsverletzungen durch Israel, aber auch seitens der Palästinenserverwaltungen. Al-Haq hatte sich an den Versuchen beteiligt, Israel und die Hamas vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen. Der Gerichtshof hat ein vorläufiges Ermittlungsverfahren wegen möglicher Kriegsverbrechen in Israel, im Westjordanland und in Gaza eröffnet. Sollte es zu einer Anklage kommen, könnte sie auch den aktuellen Verteidigungsminister Gantz betreffen, der dieses Amt seit 2020 innehat. Gantz war von 2011 bis 2015 Generalstabschef der israelischen Armee. Das Haager Ermittlungsteam untersucht Vorgänge seit dem Jahr 2014.

Eine Sprecherin der Vereinten Nationen sagte, man könne das Vorgehen Israels "nicht auf die leichte Schulter nehmen". Bereits im Oktober hatte UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet Israels Vorgehen verurteilt. Bachelet sah darin einen "Angriff auf Hüter der Menschenrechte". Bei den sechs NGOs handle es sich um "äußerst seriöse humanitäre Organisationen", mit denen die Vereinten Nationen "seit Jahrzehnten eng zusammenarbeiten". (Maria Sterkl aus Jerusalem, 19.8.2022)