Die große Abhängigkeit von Getreideimporten stürzt viele Staaten Afrikas in die Krise.

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Russland und die Ukraine spielen eine wichtige Rolle bei der Nahrungsmittelversorgung für Afrika. Afrikanische Länder importierten landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von rund sieben Milliarden US-Dollar aus beiden Ländern. Viele afrikanische Staaten sind sehr stark abhängig von russischen und ukrainischen Lieferungen. Besonders drastisch ist die Lage in Nord- und Ostafrika.

Angesichts der großen Abhängigkeit von Importen spüren der Sudan, Äthiopien und der Südsudan die Schocks auf den Getreidemärkten besonders, da sie außerdem mit klimatischen Krisen konfrontiert sind. Auch die ägyptische Ernährungslage ist prekär, denn der Agrarsektor ist gerade einmal in der Lage, 40 Prozent des Inlandsbedarfs zu produzieren. Nigeria ist auf Lebensmittelimporte im Wert von zehn Milliarden US-Dollar angewiesen, um seine Defizite in der Weizenproduktion von mehr als sechs Millionen Tonnen auszugleichen. Selbst Südafrika bezieht rund 30 Prozent seiner Weizeneinfuhren aus Russland und der Ukraine. Das Schlimmste könnte noch bevorstehen, denn immer mehr Menschen erfahren Ernährungsunsicherheit, nicht zuletzt wegen steigender Düngemittel- und Energiepreise.

Zwei Millionen Tonnen Düngemittel fehlen

Russland ist auch einer der weltweit größten Exporteure von Düngemitteln. Nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank fehlen auf dem Kontinent zwei Millionen Tonnen Düngemittel. Als Folge des Düngemittelpreisanstiegs pflanzen Bauern ohne Düngereinsatz an und fahren daher geringere Ernten ein. Wenn dieses Defizit nicht ausgeglichen wird, wird die Nahrungsmittelproduktion in Afrika um mehr als 20 Prozent zurückgehen.

Russlands Angriff auf die Ukraine hat die Energie- und Transportpreise noch einmal in die Höhe getrieben. In einigen afrikanischen Ländern kam es gar zu Engpässen bei der Benzinversorgung – selbst in Nigeria, dem größten Erdölexporteur Afrikas. Trotz seiner riesigen Ölindustrie importiert das westafrikanische Land fast sein gesamtes Benzin – eine Folge von Missmanagement. Schlimmer als in den Ölförderländern trifft die aktuelle Lage die Verbraucher in den Energieimportländern. Hier stieg der Preis für Treibstoff besonders drastisch.

Noch mehr Armut

Die Covid-Pandemie, die Beschäftigungs- und Klimakrisen, Energieunsicherheit und die Nahrungsmittelprobleme setzen den afrikanischen Volkswirtschaften zu und führen zu mehr Armut. Afrikas Schwäche dokumentiert sich angesichts dieser globalen Krisen besonders deutlich an der Energie- und Nahrungsmittelversorgung. Das Wachstum der vergangenen zwanzig Jahre basierte vor allem auf Rohstoffexporten und Chinas Agieren. In dieser Boomphase wurden die Bauern allerdings benachteiligt, sodass die Versorgung mit Nahrungsmitteln immer stärker am Tropf von billigeren Importen hing.

China und Europa tragen Mitverantwortung für diese Probleme, denn Europa bindet Afrika immer noch in unfaire Handelsbeziehungen ein. Zudem hat die EU der landwirtschaftlichen Entwicklung Afrikas durch seine hohen Agrarsubventionen eher geschadet, und China ist durch seine merkantilistische Politik ebenfalls ein wesentlicher Verursacher der afrikanischen Schocks.

Unruhen drohen

Proteste gegen die Nahrungsmittelknappheit und den Preisanstieg sind in vielen Ländern inzwischen an der Tagesordnung. In Sierra Leones Hauptstadt Freetown kam es kürzlich zu gewalttätigen Aufständen, und in Nigeria, Kenia, Senegal und anderen Ländern gehen die Menschen wegen der drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten ebenfalls auf die Straßen. Es droht eine Welle von Brot- und Weizenunruhen.

Afrika ist wieder in Gefahr, zum großen Verlierer weltpolitischer Konflikte zu werden, wenn es nicht gelingt, die Weichen neu zu stellen. Um die kommenden Monate zu überstehen, sind humanitäre Aktivitäten unerlässlich. Die multilateralen Organisationen fordern zu Recht direkte Unterstützung für die Hungernden. Die hohen Lebensmittelpreise könnten langfristig sogar zu einem Produktivitätsschub in der afrikanischen Landwirtschaft beitragen, wenn es gelänge, die Infrastruktur zu verbessern und Anreize für die Bauern zu geben.

Eigenständige Nahrungsmittelstrategie

Was nottut, ist ein Umdenken in den afrikanischen Ländern ebenso wie in China und bei den Westmächten. Eine wichtige Voraussetzung für eine eigenständige afrikanische Nahrungsmittelstrategie ist die Afrikanische Freihandelszone der 54 Mitgliedsstaaten. Die engere Kooperation untereinander kann die hohen Importabhängigkeiten reduzieren helfen, beispielsweise durch regionale Wertschöpfungsketten, die die Länder untereinander mit Energie, Nahrungs- und Düngemitteln bedienen. Die Regierungen müssten sich zudem ihrer nationalen Verantwortung stellen und Maßnahmen zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, zum Ausbau der lokalen Energieversorgung und zur Eindämmung der Klimakrise anpacken. Inwieweit das von der EU-Kommission initiierte Global-Gateway-Programm zum Ausbau von Klima-, Energie-, Verkehrs- und digitalen Infrastrukturen Afrika wirklich unterstützt, muss sich noch erweisen. Denn dieses Programm ist eher als eine strategische Agenda gegen den Vormarsch Chinas auf dem Kontinent zu sehen als ein uneigennütziges Konzept zur nachhaltigen Entwicklung Afrikas.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine verdeutlicht vor allem dreierlei: wie fragil der afrikanische Kontinent ist, wie sehr sich externe Akteure an ihren eigenen Interessen orientieren und wie wenig die afrikanischen Machteliten in der Vergangenheit getan haben, um diese Großkrise zu vermeiden. (Robert Kappel, 22.8.2022)