Dirigent Manfred Honeck beweist sich auch bei Tschaikowskis Fünfter als exzellenter Pilot, der seinen Fahrstil den Gegebenheiten anpasst: elegant, sportlich oder aggressiv.
Foto: Julie Goetz

Die Ouvertüre: Im Zubringerbus nach Grafenegg besprechen silberhaarige Damen aus gesellschaftlichen Komfortzonen in mürb-weichem Plauderton die Dinge des Lebens. Nie ist man sich seiner Ansichten gewisser als mit Anfang 70. Der Fahrer fährt zwar etwas fahrig, aber das Schaukeln des Busses und der gleichförmige Gesprächsfluss kreieren eine Atmosphäre intrauteriner Behaglichkeit mit sanft sedierender Wirkung.

In Grafenegg weckt spätestens das Konzert des Pittsburgh Symphony Orchestra wieder auf. Amerikanische Orchester kann man mit Sportwagen vergleichen, sie agieren antriebsstark, reaktionsschnell, hochpräzise und wendig. Auf dem Terrain von Tschaikowskis fünfter Symphonie ist das von Vorteil. Im viersätzigen, 1888 uraufgeführten Werk führt der Interpretationspfad von düsterer Beladenheit über tänzerischen Elan bis zu heldischer Entschlossenheit, Abstecher in romantische Gefilde inklusive. Manfred Honeck ist mit dem Orchester seit 2008 eng vertraut, und der 63-jährige Vorarlberger beweist sich auf der Route der Fünften als exzellenter Pilot, der seinen Fahrstil den Gegebenheiten anpasst: elegant, sportlich oder aggressiv.

Das Blech der Amerikaner ist auf Zack und beeindruckt sowohl als Kollektiv mit kriegerischer Präzision als auch mit solistischer Einfühlsamkeit (genau: das Horn im langsamen Satz). Die Celli schrubben bei Fortissimo-Tremoli fast die Saiten durch vor lauter Einsatz. Und am Ende gibt sich die Fünfte mit ihrem muskulösen Optimismus ja sowieso amerikanischer als Dvořáks Cellokonzert, das in den USA komponiert wurde.

Gnadenlos gepresst

Letzteres hat im Auditorium zuvor Gautier Capuçon interpretiert. Der 40-jährige Franzose kann auf dem Cello alles und mehr, wundervoll speziell seine Zurücknahmen – wie im Kopfsatz die leise, verlangsamte gis-Moll-Variante des Hauptthemas. Und dann natürlich das Ende des Werks! Bei kantablen Passagen im Fortissimo presst Capuçon den Bogen aber gnadenlos auf die Saiten, ein freies Singen wird verunmöglicht. Heinrich Schiff, er fehlt.

Dennoch: Es ist ein Abend, der die Besucher nach zwei Zugaben enthusiasmiert zurücklässt, der mit hochdosierten, superintensiven Emotionen aller Art Frau und Mann aufgeputscht hat. Wahrscheinlich, so sinniert man auf der Rückfahrt im abgedunkelten Businneren, findet der Konzertbetrieb, ob klassisch oder rockig, deswegen immerwährenden Anklang: Der gemeine Mensch, im persönlichen Lebensgang um moderate Tempi und wohltemperierte Emotionsbäder bemüht, holt sich da kurzfristig und aus sicherer Distanz den Kick des Extremen. Und nachher geht’s wieder zurück zu den eigenen Mittelklassegefühlen, zu einem Leben in Flanell. (Stefan Ender, 23.8.2022)