Präsident Mahmud Abbas verharmloste den Holocaust.

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Er flog nach Berlin, verharmloste den Holocaust und reiste wieder ab: So wird der Deutschland-Besuch des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas vergangene Woche wohl vielen in Erinnerung bleiben. In Israel wurden Abbas’ geschichtsverfälschende Aussagen, wonach die Israelis dem palästinensischen Volk "50 Massaker, 50 Holocausts" zugefügt hätten, mit Entsetzen aufgenommen. Die Affäre sorgte auch für diplomatische Verstimmung zwischen Jerusalem und Berlin, weil Abbas seine Aussage im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz getätigt hatte und dieser darauf nicht unmittelbar reagiert hatte. Erst später drückte auch Scholz seine Empörung aus.

Wenig Entrüstung gab es hingegen in den Palästinensergebieten. Und das liegt eher nicht daran, dass die Palästinenser ihrem Präsidenten in blinder Loyalität verbunden wären: Über drei Viertel von ihnen wünschen sich den Rücktritt Abbas’. An dessen Verharmlosung des Holocaust stören sich aber viele nicht. Die Reaktionen auf Abbas’ Aussagen reichten von Schulterzucken bis hin zu unverblümter Zustimmung.

Antisemitismus und Zorn

Der Grund liege in einer Mischung aus Bildungsmängeln, Antisemitismus und dem Zorn auf die israelische Besatzung, erklärt Mohammed Dajani Daoudi, Friedensaktivist aus Ostjerusalem. "Es gibt viel Frustration unter den Palästinensern, weil die Welt ihr tägliches Leiden unter der Besatzung ignoriert", sagt Dajani, der für palästinensische Studierende Touren nach Auschwitz-Birkenau organisiert hat und dafür in seinem privaten und beruflichen Umfeld angefeindet und bedroht wurde. Letztlich kostete es ihn seinen Lehrstuhl an der Al-Quds-Universität bei Jerusalem.

Vielen Menschen in den Palästinensergebieten fehle es an Wissen über den Holocaust. "Das hat mit einem Mangel an Bildung zu tun, aber auch am fehlenden Kontakt mit jüdischen Menschen." Es gebe viele Mythen über den Holocaust, diese wurzelten oft in Antisemitismus, erklärt Dajani, der sich in seiner Wasatia-Stiftung für einen moderaten Islam einsetzt.

Abbas hatte seine Aussagen am Tag danach relativiert. Es bestehe kein Zweifel daran, dass der Holocaust, in dem die Nazis und ihre Kollaborateure sechs Millionen Juden und Jüdinnen umbrachten, "das abscheulichste Verbrechen der modernen Menschheitsgeschichte" war, sagte Abbas nach einem Anruf aus dem israelischen Premiersbüro. "Im Westen sieht man einen Widerspruch zwischen den beiden Aussagen von Abbas, aber Palästinenser sehen ihn nicht unbedingt", glaubt Dajani. Viele Palästinenser wüssten zu wenig über den Holocaust, sie würden dabei an "Konzentrationslager, Inhaftierung, Stacheldraht, Folter, Enteignung" denken – nicht unbedingt an Massenvernichtung. "Sie verwenden den Begriff leichtfertig, um die Grausamkeit der israelischen Besatzung zu beschreiben. Dabei begreifen sie nicht, welch tiefen Schmerz dieser Begriff bei Juden hervorruft", sagt Dajani.

Es gebe daher unter Palästinensern "einen dringenden Bedarf, mehr über den Holocaust zu lernen". Umgekehrt sollten sich aber auch Israelis mit der palästinensischen Nakba, also dem Trauma der Vertreibung und Enteignung im Jahr 1948, auseinandersetzen. "Nur so können beide Seiten Empathie für das Leiden der anderen empfinden", meint Dajani. Dies sei ein erster Schritt, um sich auch in politischer Hinsicht einer Konfliktlösung zu nähern. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 22.8.2022)