Formbewusst: Der Steirer Andreas Unterweger (44) ist nicht nur Autor. Seit dem Tod Alfred Kolleritschs 2020 leitet er die Literaturzeitschrift "Manuskripte" allein.

Foto: Helmut Lunghammer

Dani hatte versucht, "die Maus zu reanimieren", aber vergeblich. Es ist Schluss mit Annemarie. Sie hatte im Urlaub auf Lesbos einen Burgenländer kennengelernt. Mit diesem "Sextouristen" hat sie ihn betrogen. Vier Jahre Beziehung in Graz, in denen Dani und sie aber nie zusammengewohnt haben: zu Ende. Nun ist Dani auf Erasmussemester im französischen Nantes, und es gelingt ihm, sich die gemeinsamen Jahre, "zumindest fast, aus dem Kopf zu schlagen". Denn eine imaginäre "Maus" mit Annemaries Blick ist stets dabei. Manchmal ist sie sein Rucksack aus Schnürlsamt.

Andreas Unterweger erzählt in seinem Roman So long, Annemarie vom Ende einer Liebe. Man darf sich den Ich-Erzähler als zögerlichen, g’scheitelnden und eher selbstbezogenen Zeitgenossen des Jahres 2001 vorstellen. "Wo auch immer ich mich befinden mag, ich kann doch nicht behaupten, dass ich dort lebe", ist einer seiner Weltschmerzsätze. Er ist aber ungemein sympathisch.

Musik aus dem Walkman

Denn: Der Roman spielt vor der Ära der Smartphones. Selbstdarstellung findet noch analog statt. Und jeder leidet für sich allein beziehungsweise mit den Büchern, die er liest, und dem Song in seinem Walkman. Natürlich fällt einem beim Buchtitel zuerst Leonard Cohens So long, Marianne ein. Die Kassette hat Dani zwar nicht, trotzdem ist er klar als Referenz zu lesen.

Solche Anspielungen sind zentral für So long, Annemarie. Unterweger steigert sie zu exzessiven Überblendungen. So liest Dani in den Kursen seines Literaturstudiums nur Texte, in denen Männer erkennen, dass jene Frau, die "die Einzige" für sie gewesen sei, die ist, die sie verlassen haben – und sich erschießen. Hier galoppiert abgründiger Witz, dort gelingt ihm eine meisterhafte Dreifachbetrachtung junger Liebe: mit sich selbst, Tristan und Isolde sowie einem Paar in der Straßenbahn.

So zart wie eigenwillig

Die Passagen sind so bezaubernd zart wie eigenwillig, und das macht den Charme des Buches aus: Es ist auf einnehmende Art geschwätzig. Der Autor Unterweger (er ist auch Herausgeber der Grazer Literaturzeitschrift Manuskripte) tritt nicht hinter den reibungslosen Ablauf des Textes zurück, sondern er drückt ihm permanent seinen Stempel auf: wenn Dani die Leser anspricht, wenn er sich in Sätzen fast verhaspelt, wenn er sich korrigiert, sich selbst unterbricht. Unterweger liebt zudem Beschreibungen, den Aufwand beim Abarbeiten einer Ladung Wäsche gibt die halbe Seite 81 wieder. Es hagelt bei all dem nur so Beistriche. Hat man sich erst in deren Rhythmus gefunden, hat das richtig Melodie.

Wollte man biografische Daten bemühen, hat Unterweger (44) wie seine Hauptfigur in Nantes studiert. Weitere Gemeinsamkeiten sind Sache des Autors. Dani streunt durch windige Straßen, schaut Fußball, lernt Frauen kennen, erweist Paul Verlaine und Arthur Rimbaud die Ehre. Man verliert dabei zwischen Realität, Einbildung und Erinnerung zuweilen den Faden. Immer stößt man aber auf Witz, und die Sprache tanzt. (Michael Wurmitzer, 24.8.2022)