Im Gastblog zeigt der Geologe und Bibliothekar Thomas Hofmann wichtige Stationen im Leben von Eduard Suess, dem Wien auch die Erste Hochquellenwasserleitung verdankt.

Meist erinnern Denkmäler, Tafeln und Statuen an Feldherren oder Personen aus Politik und Kunst, während Persönlichkeiten aus den (Natur-)Wissenschaften in der Minderzahl sind. Die Frage, wo man Wissenschafter und Wissenschafterinnen verorten kann, die Suche nach Erinnerungsorten geht über die Angabe von Wohn- und Wirkungsstätten (Science-Tracing) weit hinaus. Folgt man dem Geologen, Politiker und langjährigen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) Eduard Suess, eröffnen sich variantenreiche Stadtspaziergänge (Science-Trails) vom Zentrum bis zum Kahlenberg.

Afrikanergasse 9: Ab 1887 Lebensmittelpunkt von Eduard Suess und seiner Familie.
Foto: GBA

Eine Ende Juli 2022 enthüllte Gedenktafel für Eduard Suess in der Afrikanergasse 9 in Wien-Leopoldstadt an seinem Wohn- und Sterbehaus listet Eckdaten seiner Karriere auf: Universitätsprofessor und Rektor der Universität Wien, Präsident der Akademie der Wissenschaften, Ehrenbürger der Stadt Wien und "Vater" der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung. Keine Frage, der am 20. August 1831 in London geborene und am 26. April 1914 verstorbene Suess gehört zu den Granden der Naturwissenschaften. Dass er auch als Politiker zunächst im Wiener Gemeinderat und dann auch im Reichstag aktiv war, verleiht ihm eine weitere Dimension. Neben der Afrikanergasse sind, gleich ums Eck, in der Novaragasse auf den Nummern 49 und 28 sowie in der Weintraubengasse 19 weitere Wohnadressen bekannt. Auch in der Großen Mohrengasse 25 und in der Praterstraße 35 wohnte einst Suess mit seiner Frau Hermine und den sieben Kindern. In der St.-Nepomuk-Kirche (Praterstraße) wurde seine Tochter Paula mit dem Paläontologen Melchior Neumayer im April 1878 getraut, 1899 fand der Trauergottesdienst für Hermine, die zuletzt Besitzerin der Liegenschaft Afrikanergasse 9 war, statt.

Erste Adresse in Wien, Polytechnikum und 1848

Mit der Übernahme einer Lederfabrik in Sechshaus Nummer 114 im heutigen 15. Bezirk (Rudolfsheim-Fünfhaus) ließ sich sein Vater Adolf Heinrich Suess, der zunächst in London lebte und dann in Prag wohnte, mit seiner Familie in Wien nieder (Wollzeile 7). Eduard wurde im Herbst 1845 vorausgeschickt und fand beim Notar Dr. Philipp Olschbauer in der Schönlaterngasse Nummer 8 (Innere Stadt), gegenüber vom Basiliskenhaus, eine erste Bleibe. Von hier waren es nur wenige Schritte in die Schule. Das Akademische Gymnasium befand sich damals in der Bäckerstraße 28 im unmittelbaren Nahbereich des einstigen Universitätsstandortes.

Am Polytechnikum, der heutigen TU, studierte der junge Eduard Suess.
Foto: Hofmann

Seine weitere Ausbildung erhielt Suess am Polytechnikum, der heutigen TU-Wien (Karlsplatz 13) in Wien-Wieden. Von hier aus zog er als Student und Mitglied der akademischen Legion, geschmückt mit Hut und Feder, im Jahr 1848 auf die Barrikaden. In seinen "Erinnerungen" (1916) schreibt er. "… und wenn heute mich mein Weg durch die Bockgasse (heute: Postgasse) führt, gedenke ich gar oft der bewegten Stunden, die ich dort oben zugebracht." Konkret nennt er eine rote Marmortafel am alten Dominikanerkloster (Postgasse 4a): "Bei dieser Tafel, hoch über der Straße, an der linken Seite der Barrikade, war mein Posten (…)."

Die Marmortafel in der Postgasse 4a, über die Eduard Suess schrieb.
Foto: Hofmann

Studium in wissenschaftlichen Sammlungen

Sein geologisches und paläontologisches Wissen eignete sich der junge Suess in den Sammlungen am k. k. Naturalienkabinett, der Vorläuferinstitution des Naturhistorischen Museums, damals im Augustinertrakt in der Hofburg (Bereich Josefsplatz), an. Die zweite Adresse war die 1849 gegründete k. k. geologische Reichsanstalt, heute Geologische Bundesanstalt. Bis 1851 befand sie sich im Gebäude der heutigen Münze Österreich (Am Heumarkt 3) in Wien-Erdberg, ehe die Herren Geologen in das noble Palais Rasumofsky in der Rasumofskgasse 23 übersiedelten. Da wie dort war Suess ein eifriger Besucher, dessen Expertise bei der Bestimmung von Fossilien gefragt war. Auch als Vortragender ist er hier später zu finden, etwa am 3. Jänner 1888, als er "Über die Geschichte der Meere" sprach.

Erste Anstellung, Universität und Akademie

Im Frühjahr 1852 wurde er Assistent am besagten k. k. Naturalienkabinett, 1857 unbesoldeter a. o. Professor für Paläontologie, im Sommersemester 1858 begann Suess seine Vorlesungstätigkeit "Über allgemeine Paläontologie" in den Räumlichkeiten des akademischen Gymnasiums. Begleitend gab es "Erläuternde Demonstrationen im k. k. Hofmineralien-Kabinett und an der k. k. geologischen Reichsanstalt" an den bekannten Adressen. 1862 wurde er Professor für Geologie und wechselte an die Universität Wien in die Bäckerstraße Nummer 20, wo sich ebenerdig das Institut für Geologie befand (heute: Aula der Wissenschaften). Das monumentale Hauptgebäude der Universität auf der Ringstraße wurde nach Plänen Heinrich von Ferstls (1828–1883) gebaut, am 11. Oktober 1884 wurde es feierlich eröffnet. Hier war Suess Rektor (1888/89). Hier promovierte er am 3. November 1888 seinen Sohn Hermann zum Doktor der Rechte. Hier hielt er am 13. Juli 1901 im geologischen Hörsaal seine Abschiedsvorlesung.

Bäckerstrasse 20: Zwischen den Schwibbögen befand sich das 1862 gegründete geologische Institut.
Foto: Hofmann

Schräg gegenüber vom ersten Universitätsstandort, am Dr.-Ignaz-Seipl-Platz Nummer 2 (einst: Universitätsplatz), befand sich die Akademie der Wissenschaften, deren Gründungsadresse im Polytechnikum (Karlsplatz 13) war. Dazu Suess: "Dieses erste Erscheinen (11. Dezember 1851) vor der Akademie hinterließ mir einen tiefen Eindruck. Die ordentlichen Sitzungen fanden damals noch in einem Saale des ersten Stockwerkes des Polytechnikums statt." Dass er 1898 deren Präsident werden würde, dachte der damals 20-Jährige nicht. Als solcher eröffnete er am 28. Oktober 1910 in der Boltzmanngasse Nummer 3 (Wien Alsergrund) das erste eigenständige Institut der ÖAW, das Institut für Radiumforschung (heute: Stefan Meyer Institute).

Öffentliche Aufgaben

Nach der Veröffentlichung seines Buches "Der Boden der Stadt Wien" (1862) hielt er im März 1863 im Restaurant Streitberger (Bäckerstraße 8) einen Vortrag über die Wasserversorgung Wiens, daraufhin holte ihn Bürgermeister Andreas Zelinka (1802–1868) in den Wiener Gemeinderat, der bis 1885 in den Räumen des damaligen Rathauses in der Wipplingerstraße 8 (Innere Stadt) tagte. Suess hatte 1873 sein Mandat niedergelegt und wechselte in den Reichsrat, wo er bis 1897 politisch aktiv war. Suess kannte nicht nur das heutige Parlamentsgebäude von Theophil Hansen an der Wiener Ringstraße, wo 1883 die erste Sitzung stattfand, ihm war auch der Vorgängerbau, das heute nicht mehr existierende Abgeordnetenhaus (Währingerstraße 2–4) in Wien-Alsergrund vertraut.

Altersportrait von Eduard Suess, gestochen von Alfred Cossmann (1870–1951).
Foto: Sammlung GBA

Der Name Suess ist untrennbar mit dem Bau der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung verbunden, die am 24. Oktober 1873 eröffnet wurde. Er selbst gab – in Anwesenheit des Kaisers – das Zeichen, dass der Strahl in die Höhe spritzen möge. 1928 ehrte man in hier mit einem Denkmal. 1938 musste seine Marmorbüste weichen, denn Suess hatte eine jüdische Mutter. Doch Suess, sprich das Denkmal, kehrte nach dem Ende der NS-Zeit zurück.

Ein Wiener Muss: Kahlenberg und Friedhofsbesuche

Grillparzer hat 1844 mit seinen Worten "Hast du vom Kahlenberg das Land dir rings besehen, So wirst du, was ich schrieb und was ich bin, verstehen" den Kahlenberg in höhere Sphären gehoben. Auch Suess liebte diesen Berg. Franz Steindachner, Intendant am Naturhistorischen Museum, schrieb er am 29. Oktober 1909: "Mein verehrter Freund. Vor Jahren bist Du so freundlich gewesen, am Kahlenberge einer intimen kleinen Familienfeier beizuwohnen aus Anlas der Vollendung des 3. Bandes meines Buches ("Antlitz der Erde", 1883–1909). Jetzt geht endlich der letzte Band in Druck u. wir wollen wieder zusammenkommen, aber nicht, am Kahlenberge, sondern in der Afrikanergasse (…). Du erfreust dadurch außerordentlich Deinen treuen u. herzlich ergebenen E. Sueß."

Kahlenberg: ab 1874 mit der Zahnradbahn leicht erreichbarer Ausflugsort im Norden Wiens.
Foto: Sammlung Hofmann

Das Grab von Suess ist nicht in Wien, sondern im burgenländischen Marz (bei Mattersburg) zu finden. Am Matzleinsdorfer Friedhof in Wien Favoriten ruhen indes sein Vater, sein Bruder Friedrich, seine als Kind verstorbene Tochter Sabine und zahlreiche andere Familienmitglieder.

Grabmal der Familie Suess am Matzleinsdorfer Friedhof.
Foto: Hofmann

Der 1874 eröffnete Zentralfriedhof in Wien-Simmering war ihm nicht fremd, unzählige Male war er als Trauergast bei Begräbnissen, oft als Redner, so auch am 28. März 1893, beim "Leichenbegängnis" von Adolf Fischhof (1816–1893), der im Revolutionsjahr 1848 in seiner berühmten Rede die Lehr- und Pressefreiheit eingefordert hatte. Suess im O-Ton: "Adolph Fischhof! An den Rand deines Grabes tritt ein Student der akademischen Legion, um dir zu danken. Die Feder wallt nicht mehr vom Hute; meine Haare sind grau und schütter, aber es gibt Erinnerungen, welche verjüngen." (Thomas Hofmann, 26.8.2022)