Man will nicht hinschauen, kann aber auch nicht wegschauen.

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Hass im Netz hat viele Gesichter, Avatare, seltsame Foren-Usernames, Rechtschreibfehler und Rufzeichen. Besonders in den sozialen Medien findet sich Hass überall und überdeutlich. Hass im Netz kann aber völlig unsichtbar sein: Willkommen in der Welt des Hate-Following.

Es bedeutet, jemandem, den man warum auch immer hasst, idiotisch oder komplett "cringy" findet, zu folgen, mit dieser Person aber nicht zu interagieren. Dieses spezielle Folgen aus Hass trifft meistens nicht Personen des öffentlichen Lebens, selten ist es keine aktive Entscheidung: Es ist also nicht so, dass man sich extra eine Person aus den "Unweiten" des Netzes sucht, nur um sie zu hassen. Nein, das Hate-Following entsteht und wächst wie ein Tumor.

Man hat da also einmal bei jemandem auf "Folgen" geklickt, weil die Person mit dem Bruder eines ehemaligen Gspusis zusammen war, oder es handelt sich um eine Person, die beruflich etwas Ähnliches macht und von der man dachte: "Könnte ja interessant sein."

Die Verachtung wächst

Während man dieser Person zuerst gar keine allzu große Beachtung geschenkt hat, entsteht mit jeder Story, jedem Tweet, den sie mit der Welt teilt, eine immer größere Verachtung für diese Person und alles, wofür sie steht.

Das kann die ehemalige Sandkastenfreundin sein, die sich mittlerweile als Mami-Bloggerin verdingt, eine flüchtige Party-Bekanntschaft, die nun beim Hayek-Institut arbeitet, oder einfach nur irgendeine Witzfigur, die sämtliche ihrer Relativsätze mit welcher/welche/welches einleitet statt der/die/das. Julian, du klingst nicht gescheit, du klingst wie der Trottel, der du bist! Hate-Following trifft auch Leute, die etwas dümmer sind als man selbst, aber erfolgreicher, schöner oder reicher. Neid spielt – wenn auch nicht immer – eine Rolle.

Der Hass wächst, gleichzeitig aber auch die Faszination, man will nicht hinschauen, kann aber auch nicht wegschauen. Ehe man sichs versieht, verbringt man seine Zeit freiwillig damit, sich von der Nemesis, die freilich nur Projektionsfläche ist, auf die Palme bringen zu lassen. Sie fragen sich, wie man das nur tun kann? Ich weiß es nicht. Fragen Sie zum Beispiel die Leute, die diese Kolumne immer wieder lesen, obwohl alles daran sie aufregt. (Amira Ben Saoud, 24.8.2022)