Photovoltaikanlagen sollen Gaskraftwerke ersetzen. Produziert werden Erstere vor allem in China.

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Das Erdgas, das Europa verbraucht, hat vor allem zwei große Nachteile: Erstens beschleunigt es den Klimawandel – und zwar nicht nur durch seine Verbrennung, sondern auch als Gas selbst, wenn es etwa durch Lecks in die Atmosphäre gelangt. Zweitens kommt es zu einem großen Teil aus Russland und finanziert somit indirekt Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Da liegt es nahe, auf fossile Brennstoffe zu verzichten und somit "zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen", wie auch der Titel einer Expertendiskussion am Dienstag beim Europäischen Forum Alpbach lautete.

Einem kompletten Verzicht auf Energieimporte erteilte die Generaldirektorin für Energie bei der EU-Kommission, Ditte Juul Jørgensen, eine Absage. "Das wäre nicht besonders effizient", sagte die dänische Politikerin in Tirol. Stattdessen will sie Wasserstoff-Partnerschaften mit Staaten außerhalb der EU, etwa in Nordafrika, forcieren.

"Ihr habt euch abhängig gemacht"

Um die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren, setzt die EU laut Jørgensen langfristig auf drei Maßnahmen: Zunächst müsse Europa viel weniger Energie verbrauchen – und dabei enger zusammenarbeiten. Ein positives Beispiel ist für sie die Einigung der EU-Energieminister, den Gasverbrauch um 15 Prozent zu reduzieren. Der neue, geringere Energiebedarf werde künftig aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Nur für den kleinen Rest Erdgas, der etwa in der Industrie noch nicht vollständig ersetzt werden kann, sucht man nach alternativen Lieferanten.

Dass Europa überhaupt erst so abhängig von russischem Gas werden konnte, sieht Jurij Witrenko auch in einer nicht zu Ende gedachten, "politisch nicht nachhaltigen" Umsetzung der Energiewende. Er war ukrainischer Energieminister und ist nun Chef des staatlichen Energiekonzerns Naftogaz. "Ihr habt euch abhängig gemacht, indem ihr euch Gas als Übergangslösung ausgesucht habt", sagte Witrenko, der in Alpbach per Video aus einem Luftschutzbunker zugeschaltet wurde.

Umstrittene Übergangslösung

Jørgensen verteidigte die Linie, Gas als Übergangslösung heranzuziehen, und auch die umstrittene EU-Taxonomie, welche Gas- und Atomenergie als nachhaltiges Investment klassifiziert. "Die Taxonomie sagt nicht, dass diese Energieträger grün sind, aber dass sie notwendig sind für den Übergang", so die Generaldirektorin.

Auch in der Ukraine hätten fossilen Brennstoffe laut dem Naftogaz-Chef viel Schaden angerichtet. Korruption und Populismus seien vor allem durch das "sowjetische Erbe" des hohen Verbrauchs an fossilen Brennstoffen grassiert, sagte Witrenko in Alpbach. Er denke, dass die aktuelle Situation die Energiewende beschleunigen werde. Es werde zwar Konsequenzen haben, wenn Putin den Gashahn zudrehen sollte. "Aber es wird der letzte Winter sein, in dem ihr an diesen Konsequenzen leidet", so Witrenko in Richtung EU. Auch die Ukraine will in einem Jahr kein russisches Gas mehr importieren.

Fast alle Solarmodule aus China

Mit der Energiewende werden allerdings andere Materialien relevant – die durchaus auch geopolitische Sprengkraft bergen. So liegen viele Metalle, die für die Produktion von Batterien, Solarzellen oder Windturbinen notwendig sind, in einigen wenigen Gebieten. Rund 80 Prozent aller Photovoltaik-Module werden derzeit in China gefertigt, wie es in einem kürzlich erschienenen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) heißt. Weiters schätzt die Organisation, dass China bei wichtigen Bestandteilen der Solarzellen bald einen Marktanteil von 95 Prozent erreichen wird.

"Einer der größten Fehler war, dass wir die Solarindustrie in Europa zerstört haben", sagte Johannes Stangl vom Complexity Science Hub, der auch Fridays for Future Wien mitgegründet hat. Vor allem Deutschland war Anfang der 2000er-Jahre ein globaler Vorreiter in der Produktion von Photovoltaik-Modulen, verlor dann aber gegenüber China den Anschluss.

"Natürlich müssen wir aufpassen, dass wir eine Abhängigkeit nicht durch eine andere ersetzen", sagte Jørgensen. Bei der Herstellung von Windturbinen stehe Europa nicht schlecht da, die verbliebene Solarindustrie sei außerdem "sehr hochwertig". Dank der EU-Rohstoffstrategie sollen einmal importierte Materialien außerdem immer wieder recycelt werden. Die derzeitige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen könne man zudem nicht mit den zum Bau notwendigen Rohstoffen vergleichen. "Wenn wir die Anlagen einmal haben, dann ist der Strom unserer", so die Generalsekretärin. (pp, 24.8.2022)