Wie der britische Autor Eric Ambler wohl Boris Johnson analysiert hätte?

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Heute ist hier Auszeit von der Aktualität, zum Glück. Als Kolumnist hat man das Privileg, alles und jedes zu seinem Thema machen zu können, und dieses Privileg nutze ich diesmal schamlos aus und empfehle ohne Anlass, aber mit gutem Grund die Werke des Briten Eric Ambler zur Lektüre.

Ambler, 1909 geboren, begann nach einer Ausbildung zum Techniker frühzeitig zu schreiben und hatte 1940, als er eine lange Schaffenspause einlegte, bereits sechs Romane publiziert. Anders als viele Kollegen aus dem Thrillergeschäft, die in den 1930ern auf die nationalistische Pauke schlugen, erwies sich Ambler als Mann von souveräner, distanzierter Intelligenz mit klar linkem Einschlag.

Meist gerät in seinen Romanen ein naiver junger Brite durch Zufall in ein Ränkespiel, in dem dubiose Geschäftsleute, korrupte, häufig faschistische Politiker, Spione und Spitzel mit- und gegeneinander intrigieren, und der ahnungslose Simpel, der der Protagonist ist, von Glück sagen kann, wenn er mit heiler Haut davonkommt.

Elegantester Kriminalroman

"Ich versuche den Leuten zu zeigen, wie es zugeht auf der Welt", meinte Ambler einmal, und dies tut er in sachlichem, analytisch durchdringendem Stil mit oft umwerfend unterkühltem Witz, gemäß seiner Behauptung, Understatement sei die einzige Art von Humor, die er kenne. Die Maske des Dimitrios (1939) nannte der Kritiker Hans C. Blumenberg den "elegantesten Kriminalroman des 20. Jahrhunderts".

In weiteren zwölf Romanen weitete Ambler von 1951 an sein Themenspektrum aus, schrieb über Stalins Schauprozesse, den Nahostkonflikt, Entkolonialisierung oder Steuerhinterziehung im großen Stil und bahnte unermüdlich erzählerische Wege durch eine labyrinthische Welt, in der Menschen für Geld und Macht alles erdenklich Böse tun.

"Es hat keinen Autor von einer derart genauen politischen Urteilsfähigkeit wie Ambler gegeben. Es hat keinen Autor gegeben, der ähnlich fähig gewesen wäre, seine politische Urteilsfähigkeit in Story, Geschichte, in erzählten Fortgang zu verwandeln. Ich halte Ambler für einen der bedeutendsten lebenden Autoren überhaupt", schrieb Helmut Heißenbüttel.

Ambler starb 1998, aber sein Werk lebt. Der Gewinn, in diesen konfusen Zeiten eine klare Stimme wie die seine zu vernehmen, ist für mich immens, vielleicht auch für Sie. (Christoph Winder, 27.8.2022)