Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter Ars Electronica: "Wir haben die Aufgabe der Bewusstseinsbildung."
Foto: Florian Voggeneder

Was steht im Fokus der Ars Electronica 2022?

Die Konsequenzen der Konsequenzen des Klimawandels. Er wird uns massiv betreffen und deshalb müssen Veränderungen stattfinden. Wir stellen uns die Frage, welche Auswirkungen sie haben werden. Es ist leicht gesagt, dass wir weniger fossile Brennstoffe verbrauchen müssen, aber wie gehen wir damit um? Es sagt sich auch leicht, dass wir auf erneuerbare Energien umsteigen müssen, aber wo nehmen wir die Materialien her und was bedeutet das auf geopolitischer Ebene? Und wie müssen wir uns gesellschaftlich organisieren, damit wir der Bewältigung des Klimawandels und der Energiewende gewachsen sind.

Bei Living Dead von Laura Deborah Cinti steht die biologische Vielfalt unseres Planeten im Mittelpunkt.
Foto: Debbie Jewitt

Was ist unter "Planet B" zu verstehen?

Dass es keinen alternativen Ort gibt, an den wir flüchten können. Wir müssen unser Leben auf diesem Planeten zukünftig anders führen. Das Jahr 2030 spielt dabei eine relevante Rolle. Wir kennen diese Kurve, die uns zeigt, wie wir unsere CO2-Emissionen bis 2030 reduzieren müssen, um das Schlimmste verhindern zu können. Wenn wir das nicht schaffen, ist 2030 das Ablaufdatum einer Vorstellung von Zukunft, die damit verbunden war, dass es besser wird.

Welchen Beitrag kann ein Festival wie die Ars Electronica dabei leisten?

Wir haben die Aufgabe der Bewusstseinsbildung, denn fehlende Informationen sind nicht das Problem. Seit Jahrzehnten ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass wir mit Volldampf auf die Betonwand zurasen – und seit einigen Jahren spüren wir auch in Europa, wie sehr sich das Klima verändert. Man muss versuchen, die Menschen mit Bildern und Geschichten und mit Best Practice Beispielen auf der emotionalen Ebene zu erreichen. Das kann niemand besser als Festivals, als Kunst und Kultur.

Ars Electronica

Was muss die Ars Electronica tun, um dabei am Puls der Zeit zu bleiben?

Aus den Nachwirkungen der letzten beiden Pandemie-Jahre haben wir ein globales Netzwerk an Partner:innen aufgebaut, auf das wir weiter setzen. Heuer wird es spannend, da viele unserer Partner:innen in Linz real dabei sein werden. Gleichzeitig werden sie aber die Vernetzung zu ihren Communities weiter aufrechterhalten. Das ist auch ein spannender Schritt in Richtung einer "Hybridisierung". Eigentlich handelt es sich um eine Dualität, denn das real-Analoge und das digital-Vernetzte kann man nicht einfach so übereinanderlegen und muss für beides passende Präsentationsformen finden.

Die künstlichen Gebilde in Chimera, Expandes Bodies (Amor Muñoz), enthalten lebende Materie.
Foto: Render by Luis Bolaños
Das Ars Electronica Festival 2022 findet von 7. bis 11. September in 11 verschiedenen Locations in Linz statt.

Wie sieht die Ars Electronica auf dem Planet B aus?

Zum einen wird die Dualität von digital und analog eine relevantere Rolle spielen. Zum anderen wird ein noch größeres Augenmerk auf die "planetare Kollaboration" gelegt werden. Ein wichtiger Punkt ist die Rolle der Kunst: Wir müssen lernen, mit Widersprüchlichkeiten umzugehen. Denn wir kommen alle aus einem Denken, dass wir gut darin sind, Gut und Böse, Falsch und Richtig, Weiß und Schwarz voneinander zu unterscheiden. Doch wir tun uns sehr schwer damit, die Meinungspluralität zuzulassen. Die Kunst ist einer der wenigen Räume, wo wir Widersprüchlichkeit zulassen und aushalten können. Kunst und Festivals sind ein Labor für die zukünftigen Modelle des Miteinanders und des gegenseitigen Respekts.