Nicht nur Lisette Oropesa überzeugte als Lucia. Neben der und für die Sopranistin sorgte auch Dirigent Daniele Rustioni für Momente hoher Transparenz und intensiven Ausdrucks.

Foto: Marco Borrelli

Sie gilt als ultimative Feuertaufe für Sopranistinnen – die "Wahnsinnsarie" aus Lucia di Lammermoor. Komponist Gaetano Donizetti hat hier alles, was der Belcanto zu bieten hat, in Noten gefasst: Sprünge, Triller, Staccati, rasante Tonsprünge und irre Lagenwechsel. Eine vokalathletische Höchstleistung, vom Andante arietta über das manische Allegro vivace bis zur Coda zum Schluss.

Kein Problem für Lisette Oropesa. Seit ihrem Rollendebüt am Royal Opera House gilt die amerikanisch-kubanische Sopranistin als die derzeit beste Lucia. Zuletzt sang sie die Partie im April an der Wiener Staatsoper, nun präsentierte sie ihren makellosen Koloratursopran in Salzburg.

Die ersten Takte packen

Oropesa singt mit einer Leichtigkeit, dass es eine Freude ist. Dennoch lässt ihre Stimme trotz stupender Technik eine gewisse Dramatik vermissen, die Donizetti der Lucia in die Kehle geschrieben hatte. Dennoch: Es zeigte sich, wie packend und unmittelbar Musiktheater auch ohne Szene, Kostüm und Maske sein kann, wenn so fantastische Protagonisten auf der Bühne stehen. Schon die ersten Takte packten, dort, wo Schlagwerk und Blech die düster-dramatische Atmosphäre auf Schloss Ravenswood imaginierten, gefolgt von einem explosiven, markerschütternden Tutti.

Das Mozarteumorchester spielte unter der Leitung von Daniele Rustioni: Wer den Namen noch nicht kennt, sollte ihn sich unbedingt merken. Nicht nur, dass der Mann mit vollem Körpereinsatz durch den dreistündigen Abend führte und die Musiker und den Philharmonia Chor Wien zu ungeahnten Höchstleistungen animierte.

Atmen und innehalten

Er ließ Donizettis Partitur in all ihren Farben und Stimmungen erklingen, von den dynamischen Schattierungen und Akzentuierungen über die dramatischen Steigerungen bis zu den lyrischen Passagen, Atmen und Innehalten inklusive. Für die "Armonia celeste" hatte Donizetti in Lucias Wahnsinnsarie eine Glasharmonika besetzt, die später aus praktischen Gründen von der Flöte ersetzt wurde.

Hinreißend

In Salzburg griff Rustioni auf das Original zurück und ließ die Musik von diesem, überirdische Sphärenmusik erzeugenden trichterförmigen Glaskegel begleiten. An der Seite von Lisette Oropesa gab Benjamin Bernheim ihren Geliebten Edgardo, strahlend in den Höhen, warm in den Tiefen und mit der notwendigen Portion Schmelz. Hinreißend der Wechsel zwischen bittere Süße und Verzweiflung in der Schlussarie Lucia più non è!.

Roberto Tagliavini lieh dem Beichtvater Raimondo seinen expressiven, in den Höhen ebenso wie in den Tiefen bewanderten Prachtbass, und Tenor Riccardo Della Sciucca gab einen höhensicheren Arturo. Belcanto-Hochgenuss lieferte zudem Ludovic Tézier: Mit wuchtigem Bariton, eleganter Phrasierung und ausdrucksstarker Mimik lehrte er als rücksichtsloser Lucia-Bruder Enrico das Fürchten. Ann-Kathrin Niemczyk als Alisa und Seungwoo Simon Yang als Normanno, beide aus dem Young-Singers-Projekt, ergänzten das Ensemble. Vom Publikum gab es für alle minutenlange Standing Ovations. (miriam Damev, 26.8.2022)