Fed-Chef Jerome Powell (re.) und der Präsident des Fed-Ablegers aus New York, John Williams, beim Treffen in Jackson Hole im Jahr 2019.

Foto: REUTERS/Ann Saphir

Einmal jedes Jahr fokussieren sich die Blicke der Finanzwelt auf Jackson Hole, ein beschauliches Tal im US-Bundesstaat Wyoming. Seit 1976, als zuvor der erste Ölpreisschock eine anhaltende Phase sehr hoher Inflation ausgelöst hatte, treffen sich dort die weltweit führenden Notenbanker jedes Jahr im August zum Austausch. Fernab heißer Großstädte – der namensgebende Ort Jackson mit 11.000 Einwohnern liegt in den Rocky Mountains zwischen Seen und Wäldern auf 1900 Meter Höhe – erörtern die Währungshüter geldpolitische Themen und verkünden mitunter richtungsweisende Entscheidungen.

An Brisanz mangelt es dieses Jahr nicht: Die Inflation ist in vielen Ländern auf Niveaus geklettert, die seit den 1970er-Jahren nicht mehr gesehen wurden. Im Zentrum steht Jerome Powell, Chef der US-Notenbank Fed, der heuer hemdsärmelig mit immer größeren Schritten den Leitzins von fast null auf 2,5 Prozent gehievt hat. Obwohl die Teuerung in den USA zwar zuletzt von 9,1 auf 8,5 Prozent gesunken ist, bleibt abzuwarten, ob damit der Gipfel bereits überschritten ist. Zumal Powell, der stets betont, auf Basis aktueller Konjunkturdaten zu handeln, mit widersprüchlichen Signalen aus der Wirtschaft jonglieren muss.

Gemäß BIP-Daten ist die Wirtschaftsleistung in den USA im zweiten Quartal um annualisiert 0,6 Prozent geschrumpft. Der Indikator für das Volkseinkommen, der üblicherweise nahe am BIP liegt, wies für denselben Zeitraum jedoch ein Wachstum von 1,4 Prozent aus. Auch der Arbeitsmarkt war im ersten Halbjahr sehr robust, es wurden 2,7 Millionen zusätzliche Jobs geschaffen. Wie fit ist die US-Wirtschaft wirklich vor der nächsten Zinsentscheidung im September? Wie schnell und wie weit kann Powell die Zinsen noch anheben, ohne die Konjunktur endgültig abzuwürgen?

Belastung für Haushalte

"Ohne Preisstabilität funktioniert die Wirtschaft nicht", stellte Powell am Freitagnachmittag klar. Deren Wiederherstellung werde einige Zeit in Anspruch nehmen. Höhere Zinsen, geringes Wachstum und ein nachlassender Arbeitsmarkt sollten die Inflation drücken, aber auch Haushalte und Unternehmen belasten. "Aber ein Misserfolg bei der Wiederherstellung der Preisstabilität würde viel größere Schmerzen bringen", betonte der Fed-Chef. Ob der Leitzins im September wieder um einen dreiviertel oder nur einen halben Prozentpunkt erhöht wird, ließ er offen.

Wenn es um geldpolitische Sorgen geht, würde EZB-Chefin Christine Lagarde wahrscheinlich sogar gerne mit Powell tauschen. In der Eurozone stieg die Inflation zuletzt im Gegensatz zu den USA weiter an und markierte im Juli mit 8,9 Prozent einen neuen Rekordwert. In zehn Mitgliedsstaaten erreichte die Teuerung schon zweistellige Werte, im Baltikum lag sie sogar über 20 Prozent. Allerdings dümpelt der Leitzins nach dem ersten Zinsschritt seit elf Jahren im Juli gerade einmal bei 0,5 Prozent – viel zu wenig, um der Inflation Einhalt zu gebieten.

Konsumflaute in Deutschland

Gleichzeitige verliert auch in der Eurozone die Wirtschaft zusehends massiv an Schwung. Wegen ausbleibenden Konsums erwarten immer mehr Ökonomen, dass die größte Volkswirtschaft Deutschland im zweiten Halbjahr in eine Rezession schlittert. Damit nicht genug, die eingeleitete Zinswende erschwert Mitgliedern wie Italien das Management der enorm hohen Staatsschulden. Für neue zehnjährige Anleihen muss das Land derzeit 3,6 Prozent Zinsen pro Jahr zahlen – das ist der höchste Wert seit mehr als acht Jahren, Tendenz stark steigend.

Die Schuhe von Christine Lagarde, die selbst nicht nach Wyoming reiste, drücken also an mehreren Stellen. An dem Treffen, das bis Samstag läuft, nimmt stattdessen die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel teil. Die signalisierte unlängst, dass die Zinsen trotz der Rezessionsgefahren weiterhin kräftig steigen könnten. Im Gegensatz dazu stehen die zurückhaltenden Aussagen ihres italienischen Kollegen Fabio Panetta, der wegen der Konjunkturrisiken für eine vorsichtige Vorgehensweise der EZB wirbt. Es wird nicht leicht für Chefin Lagarde, für die nächste Zinsentscheidung am 8. September eine gemeinsame Linie zu finden.

Fehlleistung im Vorjahr

Für Fed-Chef Powell steht indes die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Sollten sich seine Aussagen dieses Jahr auch nur annähernd als so wenig zutreffend erweisen wie im Jahr zuvor in Jackson Hole, würde dies seine Reputation enorm beschädigen. Vergangenen August hatte er fünf Gründe vorgetragen, warum sich die mit damals gut fünf Prozent noch vergleichsweise moderate Inflation als vorübergehend erweisen werde. Welch kolossale Fehleinschätzung Powells, auf die er bald danach zurückrudern musste und anschließend zügig die Zinswende in den USA einleitete. (Alexander Hahn, 27.8.2022)