Nicht alles, was sich in Donald Trumps Umzugskartons befand, hätte dort auch sein sollen.

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Wer bietet mehr? Einige Jahre Haft könnten Donald Trump in der Causa um heimlich mitgenommene Geheimdokumente drohen, sagen die einen. 920 Jahre bieten die nächsten, nachdem sie alle möglichen Strafen addiert und aneinandergereiht haben. In den Social Media kursieren noch fantastischere Schätzungen: 19.500 Jahre Haft will Autor und Social-Media-Persönlichkeit Tomi T. Ahonen errechnet haben. Der Schluss, zu dem man in jedem Fall kommt: Der Ex-US-Präsident steckt in schlimmen Problemen.

Und an dieser Stelle muss man sagen: Halt! Denn anders als suggeriert steht in der Sache noch wenig fest. Noch nicht einmal, ob das Justizministerium Anklage erheben wird – geschweige denn, in welchen Punkten. Oder gar, wie ein mögliches Urteil ausfallen würde. Etwas Licht ins Dunkel brachte am Freitag die Veröffentlichung jenes Begleitdokuments zum Durchsuchungsbefehl, mit dem das FBI um die Genehmigung zur Razzia in Trumps Domizil Mar-a-Lago angesucht hatte.

In dem Papier ist vieles geschwärzt, und die Aussagekraft dessen, was doch zu lesen ist, ist mäßig. Deutlich wird aber, welche Argumente die Bundespolizei besonders betont: Sie verweist mehrfach darauf, dass Trump auch solche Dokumente bei sich gelagert habe, die es anderen Staaten ermöglichen könnten, Rückschlüsse auf die Identität von US-Spionen im Ausland zu ziehen. Gefährlich ist das vor allem deshalb, weil Trump die Papiere unsachgemäß, also auch für Dritte zugänglich, aufbewahrt haben soll – und weil Mar-a-Lago schon lange als leicht zugängliches Einfallstor für ausländische Spione galt. US-Nachrichtendienste warnten davor schon 2017. Das wird auch ihren ausländischen Kontrahenten aufgefallen sein.

Es droht Gewalt

Sollte sich dieser Verdacht erhärten – oder sollte gar ein Zusammenhang zwischen den Dokumenten und einer jüngsten Enttarnungswelle von Spionen feststellbar werden –, wäre das erstmals in dieser Causa ein Anklagepunkt, der für die breite Masse in den USA nachvollziehbar ist. Denn dass der Präsident geheime Dokumente, die zu kennen er zu seiner Amtszeit ohnehin das Recht hatte, bei sich zu Hause gelagert haben soll – das wäre zwar verboten, aber sicher für viele, die Trump nicht ohnehin schon ablehnen, eher unaufregend. Hätte er die Festnahme oder gar den Tod von Spionen fahrlässig mitverursacht, wäre das Vergehen hingegen klar.

Doch je schwerer der Verdacht wiegt, umso größer wird für Justizministerium und aktuelle Regierung auch das Dilemma. Denn eine Verfolgung Trumps, so gerechtfertigt sie sein mag, wird nicht ohne Folgen bleiben. Schon jetzt wiegeln sich seine – immerhin oft auch bewaffneten – Anhänger gegenseitig auf. Behörden warnen vor Gewalt. Und auch Trump selbst sagte bereits vor zwei Wochen im TV, "furchtbare Dinge" könnten angesichts des Ärgers unter seinen Fans passieren, weshalb "die Temperatur im Land gesenkt werden" müsse. Es ist eine Warnung, die auch als Drohung verstanden werden kann.

Einschüchtern lassen darf sich die Justiz davon aber nicht – sonst hat der Rechtsstaat gegen Trump schon verloren. (Manuel Escher, 28.8.2022)