Dass Österreichs Versorger einen Rettungsschirm nach deutschem Vorbild bräuchten, sieht man im Finanzministerium "derzeit" nicht. Wien Energie braucht dafür umso mehr.

Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Wien – Am Freitagnachmittag war den Hausbanken der Preis dann doch zu heiß. Bank Austria und Bawag lehnten die Vorfinanzierung der notwendigen Sicherheiten für Termingeschäfte der Wien Energie in der Größenordnung von rund 2,5 Milliarden Euro ab, wie es in wohlinformierten Unternehmenskreisen des stadteigenen Versorgers heißt. Zu gering sei die Eigenkapitaldecke der Wien Energie mit gerade einmal 21 Prozent, um die geforderten zwei Milliarden Euro an Bankgarantien zu beschaffen.

Damit war der Weg der Stadtregierung rund um Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ins Finanzministerium unausweichlich. Denn der nächste Margin-Call ist bereits am Dienstag, und Wien Energie braucht – vorerst auf dem Papier – in Summe an die sechs Milliarden, um die Terminkontrakte der Zukunft abzusichern. Das ist an sich nichts Besonderes, das müssen auf der Strombörse in Leipzig (EEX) alle Stromerzeuger und -großhändler so machen.

Preise gingen durch die Decke

Etwas Besonderes ist freilich, was sich vorige Woche an den europäischen Strombörsen zutrug. Zunächst ging der Gaspreis durch die Decke. Die Megawattstunde (MWh) kostete am Freitag mit 340 Euro so viel wie nie. Tags zuvor war der Gaspreis über die 300-Euro-Marke gesprungen, nachdem der russische Gasmonopolist Gazprom eine neuerliche Schließung der Ostseepipeline Nord Stream 1 angekündigt hatte. Wegen Wartungsarbeiten soll ab diesem Mittwoch drei Tage lang kein Gas durch die Leitung nach Deutschland fließen. Weil das letzte zur Deckung des Strombedarfs notwendige Kraftwerk in der Regel ein Gaskraftwerk ist und als solches den Strompreis an der Börse setzt, schlug in der Sekunde auch der Strompreis aus.

Spitzenpreis 1.300 Euro

Kostete die MWh Strom zu Beginn der Vorwoche noch rund 500 Euro, waren es am Donnerstag bereits 700 und tags darauf zeitweise sogar gut 1.300 Euro – fast eine Verdoppelung innerhalb weniger Stunden. Gaskraftwerke haben in der Regel einen Wirkungsgrad von 50 Prozent, das heißt, es muss doppelt so viel Gas eingesetzt werden, um dieselbe Menge an Energie in Form von Strom zu bekommen. Das und der CO2-Zertifikatepreis für das eingesetzte Gas zusammengerechnet ergibt dann den Börsenpreis für Strom.

Weil der Strompreis so stark gestiegen ist, trifft Wien Energie als Verkäufer am Markt eine Nachschusspflicht in Form höherer Sicherheiten. Das ist nur im Terminhandel an der Börse so, wo der Verkäufer verspricht, eine bestimmte Menge Strom oder Gas zu einem bestimmten, in der Zukunft liegenden Zeitpunkt zu einem fixen Preis zu liefern. Steigt der Preis wie aktuell, muss der Verkäufer nachschießen, sprich mehr Sicherheiten beibringen. Genau umgekehrt läuft es, wenn der Preis unter das vereinbarte Niveau sinkt. Dann muss der Käufer nachschießen.

Rechnung nicht aufgegangen

Wirtschaftlich gesehen haben sich die Stadtwerke also verspekuliert, sagt Finanzberater Gerald Zmuegg von Finanzombudsmann. Denn die Preise stiegen weiter und mit ihnen die Nachschussverpflichtungen.

Überraschend kann die Schieflage der Wien Energie für ihren wirtschaftlichen Eigentümer, die Wiener Stadtwerke, und damit das Wiener Rathaus nicht gekommen sein. Denn Ende 2021 betrugen die vertraglichen Verpflichtungen laut der Bilanz bereits 3,3 Milliarden Euro – damals hielt sich das mit Vermögenswerten in gleicher Höhe noch die Waage und es fiel nicht auf.

Zu kurz gedacht

Als die Großhandelspreise für Strom und Gas vorige Woche dann regelrecht explodierten, vergrößerte sich das rechnerische Finanzloch quasi stündlich. Die Schieflage hatte sich geradezu angebahnt: Laut Finanzbericht 2021 hatte die Wien Energie im Vorjahr einen "Umsatz" aus dem "Kundengeschäft" von 6,8 Terawattstunden Strom und 5,8 TWh Gas. Die dazugehörigen Short-Positionen per 31. Dezember bestanden in Stromtermingeschäften von insgesamt 9,6 TWh und Long-Positionen in Gastermingeschäften von 15,3 TWh. Das legt den Schluss nahe, dass für das aus damaliger Sicht kommende Wirtschaftsjahr 2022 "überschießend" eingekauft wurde, rechnet Zmuegg vor, also der Gasbedarf für die Stromproduktion aus Gaskraftwerken überschätzt wurde. Denn für Strom wurden für 6,4 TWh und danach 3,3 TWh verkauft – es ist somit von einem 100-prozentigen Terminverkauf für 2022 und 50-prozentigen Terminverkauf für 2023 auszugehen.

Wie viel zahlen die Kunden?

Der Durchschnittspreis der Verkäufe von Strom auf Termin erfolgte für 2022 zu 125,8 Euro pro Megawattstunde (MWh) – der Future für das erste Quartal 2021 wurde am vergangenen Freitag aber bei 1334 Euro pro MWh gehandelt. Das entspricht einer Verzehnfachung des "abgesicherten" Preises – die Differenz muss die Wien Energie im Fall des Falles zahlen. Unter der Annahme, dass Wien Energie die höheren Sekundärmarktpreise an die Kunden weitergeben kann, muss zumindest bis zur Lieferung des (noch nicht produzierten) Stroms die Margin an den Terminmärkten hinterlegt werden. Hier schließt sich der Kreis zur aktuellen Krise. (Luise Ungerboeck, Günther Strobl, 30.8.2022)