Im Gastblog interpretiert Psychotherapeut und Psychoanalytiker Timo Storck die zweite Folge der Prequel-Serie zu "Game of Thrones".

In der zweiten Episode von "House of the Dragon" dreht sich alles um das eine – Eier. Da wäre zunächst einmal die ganz offensichtliche Ebene des Narrativs jener Folge, die "The Rogue Prince" heißt, also etwa: der Schurkenprinz oder der "Prinzenrebell", wie in der deutschen Übersetzung vorgeschlagen. Prinz Daemon, der namensgebende Schurke, stiehlt ein Drachenei aus dem Bestand von König Viserys. Und nicht bloß irgendeines, sondern ein Ei des Drachens Dreamfyre. Dieses war eigentlich dem Thronfolger Baelon als Krippenbeigabe versprochen (das scheint bei den Targaryens eine Art Entsprechung zum Mobile zu sein …).

Stiehlt ein Drachenei: Prinz Daemon.
Foto: HBO Max via AP

Aus der ersten Folge wissen wir, dass der lang erwartete männliche Nachkomme, für dessen Überleben Viserys das Leben von Königin Aemma geopfert hat, kurz nach seiner Geburt gestorben ist. Und dies hat den Konflikt in Gang gesetzt, dass nicht Prinz Daemon, der jüngere Bruder des Königs, zum Thronfolger bestimmt worden ist, sondern dessen Tochter, Prinzessin Rhaenyra.

Seit der ersten Folge sind sechs Monate vergangen. Viserys hat den Verlust seiner Frau (und seines Sohnes) betrauert und ist auf Empfehlung von deren Vater Otto von Alicent Hightower "getröstet" worden. Daemon ist aus King’s Landing weggeschickt worden, hat dafür aber Dragonstone besetzt, seine Gefolgsleute aus der City Watch um sich geschart und nun kürzlich besagtes Ei entwendet.

Ein Ei als Handlungstreiber

Wie erwähnt, das Ei ist eine Art Krippenbeigabe. Daemon lässt seinen Bruder und die anderen glauben, seine von ihm gewählte zweite Frau sei von ihm schwanger. Er werde sie heiraten und bald Vater eines Kindes. Seine Auserwählte, die Prostituierte Mysaria, sagt ihm gehörig die Meinung. Es ist wenig überraschend, zu hören, dass sie weder Kinder bekommen kann (berufsbedingte Entscheidung) noch sich ihm angeschlossen hat, um Familienglück zu finden, sondern vielmehr Freiheit sucht – die Figur wird spannend bleiben.

Es dreht sich also um das Ei, aber auch darum, wer die Eier hat, es zurückzuholen. Viserys gibt sich diplomatisch bis zögerlich (auch bei der Entscheidung, gegen den sogenannten Crab Feeder, einen Piraten, vorzugehen), Otto Hightower, der Ei-bedingt nach Dragonstone reist, ist zwar konfrontativ, aber nicht erfolgreich. Vielmehr ist es Rhaenyra (natürlich auf dem Rücken eines – weiblichen! – Drachen), der es gelingt, Daemon zum Einlenken zu bewegen (fällt eigentlich noch jemandem auf, wie ähnlich Daemons Stimme derjenigen von Ramsay Bolton ist?). Das ist interessant: Daemon scheint etwas an seiner Nichte zu liegen.

Ein Thron, mehrere Familien

Es geht aber nicht nur um Eier, sondern weiterhin auch um Eierstöcke. Etwas penetrant bekommen wir weiterhin erzählt, dass die "Order of Things" es nicht vorsieht, dass eine Frau den Thron besteigt – beziehungsweise dass die Männer dies nicht zulassen werden. Frauen gebären einen König – selbst Königin zu werden ist nicht vorgesehen. Und so geht es eben weiterhin darum, wer Viserys einen Sohn schenken kann. Sechs Monate, nachdem er seine Tochter zur Nachfolgerin ausgerufen hat, scheinen es viele (einschließlich ihm selbst) nun doch für besser zu halten, ihr noch einen nachgeborenen, erstgeborenen Sohn vorzusetzen. Dazu muss Viserys verheiratet werden.

Das soll also die Konstellation für den Kampf der Machtinteressen unterschiedlicher Familien werden (hier zunächst: unterschiedlicher Väter). Mit welcher Familie wird sich Haus Targaryen durch königliche Eheschließung verbinden? Lord Corlys Velaryon (die "Sea Snake"; dann doch mal eine nicht weiße Figur im "Games of Thrones"-Kosmos), Ehemann der "Queen that never was" und Cousine des Königs, empfiehlt seine Tochter Laena.

Und hier, "House of the Dragon", müssen wir mal reden! Laena ist zwölf Jahre alt. Und Viserys ist, nun ja, Ü50 (die weißen Targaryen-Haare mögen täuschen). Sicherlich, hier wird eine im großen und ganzen mittelalterliche, fantastische Geschichte erzählt, und Viserys gibt sich galant. Es wird eingeräumt, sie werde erst mit ihm das Bett teilen müssen, wenn sie 14 sei. Trotzdem. Es ist ein bestimmter Akzent der Geschichte, denn diese könnte im Grunde genau so erzählt werden, wenn Laena älter wäre.

Alters- und Geschlechterfragen

Aber es geht noch weiter. Nicht nur Rhaenyra, die drachinnenreitend Daemon ent-eit, zeigt, dass Menschen mit Eierstöcken manchmal mehr Eier haben als solche ohne, sondern auch Alicent Hightower zeigt sich versiert darin, machtvolle Positionen zu besetzen. Auf einmal nämlich schenkt sie Viserys eine Drachenfigur (!) für seine Sammlung (hat noch jemand daran gedacht, wie ähnlich seine Leidenschaft der eines Modelleisenbahnsammlers ist?), und dieser ist gerührt. Alicent spricht sogar noch mit ihrer Freundin Rhaenyra darüber, wie wichtig es für den König sein könnte, erneut (eine junge Frau) zu heiraten. Und dann wird auf einmal sie von Viserys als dessen neue Frau erwählt. Ach so, Alicent ist 15 Jahre alt. Wenn also der König plötzlich doch die drei Jahre ältere Frau erwählt, geht leicht verloren, dass er immer noch rund 40 Jahre älter und sie im Alter seiner Tochter ist.

Damit soll nicht gesagt sein, dass "House of the Dragon" hier als Kunst- beziehungsweise Kulturprodukt für sich genommen unmoralisch oder pädophil wäre oder Entsprechendes propagierte. Das zu denken, würde das Wesen der Kunst verkennen. Und trotzdem: Nachdem in der ersten Folge einer schwangeren Frau ohne Betäubung oder Erläuterung (!) das Kind aus dem Unterleib geschnitten wurde, haben wir nun einen sehr alten, sehr weiß(haarig)en Mann, der gönnerhaft die Zwölfjährige zugunsten einer 15-Jährigen verschmäht – beide sind ihm jeweils von deren Vätern zugeführt worden, um qua Eierstöcken einen männlichen Thronfolger hervorzubringen. Entscheidend ist dabei nun weniger, was das für FSK, Jugendschutz oder öffentliche Moral bedeutet, sondern serienimmanent: dass beides die Verletzungen und den Zorn von Rhaenyra wachsen lässt und wie beides die Figur zu einer emanzipatorischen machen könnte.

Dabei spielen wieder Drachen eine Rolle. Es mag gut sein, dass ich mich in Namensgebung und Verwendung von Personalpronomina in "Game of Thrones" nicht gut genug auskenne, aber kann es sein, dass die zweite Folge von "House of the Dragon" das erste Vorkommnis ist, in dem ein Drache explizit als weiblich tituliert wird?

Ausblick

Erneut dürfen wir gespannt sein: Wie wird Rhaenyra ihrer Ex-Besten-Freundin (der Whatsapp-Kontakt dürfte blockiert sein!) und künftigen Stiefmutter begegnen? Was wird aus den diversen Eiern schlüpfen? Was ist es, das Daemon vor Rhaenyra weich(er) werden lässt? Wird sich Otto Hightower weiter den Spitznamen "Middlefinger" verdienen (wie ich in einem Youtube-Kommentar gelesen habe)? Welche Zeitsprünge erwarten uns in den kommenden Folgen? Und wo ist eigentlich Haus Lannister!? (Timo Storck, 30.8.2022)