Im Gastblog interpretiert Psychotherapeut und Psychoanalytiker Timo Storck die erste Folge der Prequel-Serie von "Game of Thrones".

Ein ® oder ™ gibt an, dass etwas ein Markenname ist. Wir können unseren Sohn nicht "Nintendo", unsere Tochter nicht "Apple" nennen. Das Logo zur neuen HBO-Serie "House of the Dragon" hat dort, wo sonst ein ™ steht, den Schriftzug "Game of Thrones" stehen, denn natürlich erhält die Serie die Art der besonderen Aufmerksamkeit, weil sie im Kanon einer der erfolgreichsten Serien aller Zeiten steht, die 2019 mit doch einigem Getöse zu Ende gegangen ist.

Die Geschehnisse in "House of the Dragon" ergeben mit Blick auf "Game of Thrones" zusätzliche Interpretationsmöglichkeiten.
Foto: Credit: Sky/HBO

Das bedeutet auch, wir können "House of the Dragon" nicht losgelöst vom Kontext betrachten. Zum einen ist das der zeitgeschichtliche Kontext der Produktion und Rezeption der Serie. Seitdem "Game of Thrones" 2011 veröffentlicht worden ist, sind elf Jahre vergangen, in denen – nur einmal als Beispiel – Donald Trump eine Wahl um die US-Präsidentschaft gegen eine Frau gewonnen und dann eine weitere gegen einen, womöglich für manche Kreise "wählbareren" Mann verloren hat. Auch ist die Welt der Geschlechterverhältnisse und -rollen sowie deren Thematisierung in (fiktionalen) medialen Darstellungen nicht mehr dieselbe wie vor elf Jahren.

Zum anderen ist es der Kontext des Endes der Vorgängerserie und der vehement geäußerten Kritik an der abschließenden Staffel und darin ganz besonders der als unschlüssig wahrgenommenen Entwicklung von Daenerys Targaryen, die den Weg von einer um Gerechtigkeit und Legitimation bemühten jungen Frau zur absoluten Zerstörerin nimmt.

Eine Verbindung von Drache und Weiblichkeit

Es ging auf einer wichtigen Ebene von "Game of Thrones" immer um die (destruktive) Macht der weiblichen Sexualität. Denken wir mal daran, wie Arya Stark den Night King tötet, mehr oder minder im Anschluss an die Nacht ihrer Entjungferung. Oder daran, wie der merkwürdige Wandel in der Figurenzeichnung von Daenerys sich auch im Kontext ihrer ersten wirklich sexuellen Beziehung zu Jon ergibt – nachdem ihre Sexualität davor doch eher eine gewesen ist, die ihr, gelinde gesagt, zugestoßen ist. Daenerys war die "Mother of Dragons", sie brütet die Dracheneier gleichsam aus und wird die Mutter der Geschöpfe. Als sie am Ende per Drache King's Landing in Schutt und Asche legt, ist irgendwie auch nicht mehr so ganz unterscheidbar, was sie und was der Drache tut. "Drakaris" sagen und Feuerspeien werden zu ein und derselben Sache.

Bereits in "Game of Thrones" wurde die Figur der Mutter mit der des Drachen eng verknüpft.
Foto: Credit: Sky/HBO

Das ist nur die Zuspitzung, welche Kräfte die Mutterschaft und die Mutterliebe in "Game of Thrones" entfesseln konnten: Daenerys ist ganz Drachenmutter, wenn sie ihren, auch hier wieder, Trademark-Satz "Where are my dragons!?" ruft. Es geht nicht nur um die "Mother of Dragons", sondern auch um die "Mother as Dragon".

"House of the Dragon" spielt dieses "Lied" auf etwas andere Weise, aber es lohnt sich, die Verbindung Drache = Weiblichkeit als eine mögliche Linie der Interpretation anzulegen. Und damit soll natürlich nicht gemeint sein, dass es hier der jeweilige "Hausdrachen" ist, der den Herrscherhäusern Feuer unter dem Hintern macht.

Kampf der Geschlechter in Kriegszeiten

Aber: "House of the Dragon" macht uns mehr als deutlich, dass es um Frauen geht: in der Erbfolge, in der Aufgabe des Gebärens eines (männlichen) Kindes, in den sexualisierten Bemerkungen der Männer, in Daemons absoluter Entwertung seiner eigenen Frau, in Otto Hightowers Anweisung an seine Tochter, dem trauernden König etwas Ablenkung zu verschaffen – und so weiter. Es fallen Sätze wie "The childbed is our battlefield" oder Bezeichnungen wie "The queen that never was". Aber, und auch das ist in "Game of Thrones" vorgezeichnet: Wenn, wie auf Plakaten verkündet, "war afoot" ist, dann ist es auch ein Kampf der Geschlechter, der Eheleute oder Geschwister beziehungsweise Verwandten (fast schon übertrieben verdichtet in Jon, der Daenarys tötete).

Wir können das von der wohl zentralen Szene der ersten Episode (und vielleicht der gesamten Staffel?) her aufschließen, der Szene der bevorstehenden Geburt des Thronfolgers. Königin Aemma, die Frau von König Viserys, liegt in den Wehen, aber ihr Mann erhält die schockierende Nachricht, dass nicht beide, Ehefrau und Kind (wohl der lang erwartete Sohn), am Leben bleiben werden können. Der König entscheidet nun nicht nur allein, dass das Kind leben soll (und seiner Frau der Bauch aufgeschnitten wird, um es zu holen), sondern lässt Aemma darüber auch so lange im Unklaren, bis das Messer in ihren Bauch eindringt. Dabei ist – und für "Game of Thrones"-Maßstäbe soll das etwas heißen! – kaum aushaltbar, wie Aemma darum bittet, es möge so nicht geschehen. Sie kommt dabei um, das gemeinsame Kind bald darauf allerdings auch. Aemma lässt ihr Leben aufgrund des Wirkens von gleich zwei männlichen Verwandten, ihrem Ehemann und ihrem Sohn.

In der ersten Folge lassen sich bereits einige Verbindungen zwischen den Geschehnissen im Krieg und dem Kampf der Geschlechter erkennen.
Foto: Credit: Sky/HBO

Dabei ist filmisch und erzählerisch besonders interessant, dass der finale Kampf im Ritterturnier zwischen Daemon Targaryen und Criston Cole parallel zu Aemmas Ringen um die Geburt des Sohnes geschnitten ist. Als würde es in beidem nur den einen geben können.

Nun kann man sagen, dass diese Begebenheit (es gibt keinen männlichen Thronfolger) die Geschichte ins Rollen bringt und dafür sorgt, dass "war afoot" ist. Sie tut es aber noch auf andere Weise als nur darüber, dass Viserys nun wählen muss, ob seine Tochter oder sein Bruder für seine Nachfolge benannt wird. Es ist auch eine Szene, in der ein Mann seiner Frau den Bauch aufschneiden lässt, wissentlich, dass sie dabei umkommen wird.

Ausblick auf die nächsten Folgen

Was, wenn genau dies der Anfang vom Ende ist? Wenn die ganze Geschichte die Rache der Frau sein wird? Wenn der "war afoot" auch einer der Geschlechter ist?

Denn immerhin sehen wir eine Serie, von der wir wissen, dass das Haus Targaryen am Ende zum "breaking bad" verdammt ist. Es wird untergehen.

Spannend nach dieser ersten Folge ist nun unter anderem, woran genau es zugrunde gehen wird. Daran, dass eine Frau auf dem Thron sitzt? Daran, dass sie es nicht tun wird beziehungsweise dass die Männer es nicht aushalten werden? Immerhin wissen wir, dass zum Ende des Untergangs ein (männlicher) "Mad King" den Thron besetzen und gestürzt werden wird. Und was wird erst geschehen, wenn es um Rhaenyras drachenhafte Sexualität geht?

Auf einer weiteren Ebene des Kontexts ist schließlich noch spannend, dass auch im Medium Streaming-Dienst "war afoot" ist, denn in weniger als zwei Wochen startet "Die Ringe der Macht" auf Amazon Prime. Wem wird hier der Thron gehören? (Timo Storck, 23.8.2022)