Besonders freitags ist im Sommer auf dem Karlsplatz viel los.

Foto: Robert Newald

Ella schafft allein kein ganzes Bier mehr. Aber sie will unbedingt eine Runde Flunkyball mitspielen. Schließlich haben ihre Freunde extra eine ganze Palette zum Karlsplatz geschleppt – und die soll noch heute Abend wegkommen.

Bei dem Spiel geht es vor allem ums Trinken: Zwei Teams versuchen eine Plastikflasche mit einem Ball umzuwerfen. Daraufhin leeren sie so rasch wie möglich ihr Bier, bis die gegnerische Gruppe die Flasche wieder aufgestellt hat. Gewonnen hat, wer zuerst leere Dosen präsentiert.

Meist spielt die Freundesgruppe das Spiel zum Vorglühen. Heute hat es aber gedauert, bis genug Leute aufgekreuzt sind. Die Jugendlichen diskutieren, ist es okay, wenn Ella sich von einem Freund unterstützen lässt? Ja, ausnahmsweise, einigt man sich. Halbe-halbe also. Die Bierdosen werden aufgestellt, die Mineralwasserflasche halb geleert – Ella hatte sowieso Durst –, das Spiel kann beginnen.

Fixpunkt

Wie für viele andere Jugendliche ist der Karlsplatz für Ella und ihre Freunde zum Fixpunkt geworden. Fast jede Woche trifft sich ihre Freundesgruppe dort, um zu plaudern, zu rauchen und trinken. Danach ziehen sie häufig in einen der Clubs in der Gegend weiter. So auch an diesem lauen Samstagabend, an dem sich zahlreiche Gruppen um den Teich vor der Kirche versammelt haben.

Am Vortag war mehr los, erzählt Caro von Awa-Stern. Der Verein ist seit vergangenem Sommer jedes Wochenende am Karlsplatz, um für Ordnung zu sorgen. "Am Samstag katern wohl viele noch aus." Der Großteil der Besucherinnen und Besucher sei zwischen 15 und 18 Jahren alt. Lockdowns, geschlossene Lokale und Schulen hätten die Jugendlichen nach draußen gelockt. Und dort wollen viele nun auch bleiben: "Ich muss für mein Bier hier einen Euro zahlen und nicht fünf", sagt etwa Thomas aus Ellas Freundesgruppe.

Kondome und Seelsorge

Seit vergangenem Sommer versucht Awa-Stern mit einem vierköpfigen Team dafür zu sorgen, dass die Stimmung gut bleibt. Dabei gehe es nicht nur darum, bei Konflikten einzugreifen: "Wir sind da, wenn jemand etwas braucht", sagt Leonie aus dem Team.

Die Awareness-Teams verteilen Flyer mit Kontaktmöglichkeiten.
Foto: Robert Newald

Üblicherweise beginnt der Abend damit, dass die Sozialarbeiterin sich bei allen Gruppen kurz vorstellt. Dabei verteilt sie einen Flyer, auf dem eine Telefonnummer steht, über die das Team erreichbar ist. Viele Besucherinnen und Besucher reagieren positiv: Etwa wird das Konzept bei mehreren Vorstellungen gelobt. Die Fahrer eines Lieferdienstes schenken dem Team übergebliebene Mahlzeiten.

Zwei Teammitglieder stehen mit einem Lastenrad bis vier Uhr Früh rund um den Teich. Daran befestigt ist eine violette Fahne, die von einer Lichterkette erleuchtet wird. Im Gepäckträger verstaut sind mitunter Wasser, Müllsäcke, Snacks und Kondome.

Mit einem Lastenrad steht Awa-Stern Besucherinnen und Besuchern des Karlsplatzes zur Verfügung.
Foto: Robert Newald

Aber auch zur Seelsorge und Beratung steht das Team zur Verfügung: Etwa meldet sich im Verlauf des Abends ein Jugendlicher, der Unterstützung aufgrund eines Stalking-Falls sucht. Ein Teenager erzählt auf Nachfrage, dass es ihr psychisch nicht gutgehe, sie will aber nicht weiter darauf eingehen. Leonie bietet ihr an, später in Ruhe darüber zu sprechen.

Entstehung nach Ausschreitungen im Vorjahr

Kommt es zu einem Konflikt, so versucht das Awareness-Team, die Situation zu deeskalieren. Was ihre Arbeit von der Polizei unterscheide? Vor allem sei man "niederschwelliger", sagt Caro. Die Teammitglieder wurden bei Workshops geschult und haben teils Erfahrungen in der Sozialarbeit. Ihr Ziel sei, Betroffene zu unterstützen. Üblicherweise werden diese gefragt, was sie brauchen und wie das Team für sie da sein kann. Etwa wurde in der Vorwoche eine Jugendliche nach einem sexuellen Übergriff zur Polizei begleitet.

Der Grund, weswegen das Team überhaupt existiert, liegt daran, dass die Lage schon einmal eskaliert ist: So feierten im Vorjahr so viele Personen auf dem Karlsplatz, dass die Polizei den Platz räumte. Es kam zu Ausschreitungen und mehreren Verletzten. Awa-Stern hatte gerade ihr Konzept bei der Stadt Wien für Awareness-Teams eingereicht – und zunächst eine Absage bekommen. Eine Woche nach den Ausschreitungen änderte die Stadt die Meinung. Heuer sind vier Teams mit Lastenrädern unterwegs: auf dem Karlsplatz, am Donaukanal, dem Yppenplatz und rund um den Ring.

Zu gewaltvollen Konflikten käme es auf dem Karlsplatz selten. Und wenn doch, hat Leonie keine Angst, selbst verletzt zu werden: "Ich habe da als Frau ein bisschen die Naivität, dass da eine gewisse Hemmschwelle besteht, mir eine reinzuhauen." Ihr Kollege Mo stimmt ihr zu: "Diese Naivität habe ich auch, auch, weil ich ja keine Partei in dem jeweiligen Konflikt bin. Und wenn ich mal eine gepickt bekomme, ist das halt so – zumindest ist dann wahrscheinlich Schlimmeres verhindert." (Muzayen Al-Youssef, 31.8.2022)