Demokratien, Autokratien und Oligarchien – und mittendrin der pluralistische Diskurs. Kann er es ermöglichen, die Kurve noch zu kriegen? Nur eine von vielen Fragen mit denen sich die heurige Ars Electronica befasst. Mehr denn je versteht sich Europas größtes Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft nach zwei Jahren des Experimentierens mit hybriden und virtuellen Formaten als Plattform für einen Grenzen überwindenden Austausch auf Augenhöhe, die Menschen aus aller Welt nach Linz einlädt.
Bewusstsein für Veränderung
Zahlreiche der von 7. bis 11. September in Oberösterreichs Hauptstadt zu sehenden Werke befassen sich mit der Rolle der Zivilgesellschaft. Künstler:innen aus aller Welt machen sichtbar, dass Pluralismus und Demokratie keine Selbstläufer sind. Sie setzen eine lebendige, aktive Zivilgesellschaft voraus, die einen nachhaltigen Beitrag leistet – gleich, ob es sich um den Kampf gegen die Klimaerwärmung oder die Rechte von Minderheiten handelt.
"BiOfilm.net: Resist like Bacteria", mit der Golden Nica des Prix Ars Electronica 2022 ausgezeichnet, zum Beispiel macht eine Generation junger Bürger:innen sichtbar, die ein neues Bewusstsein für die Veränderung der Gesellschaft entwickeln und sich engagieren. Die von Jung Hsu (TW) und Natalia Rivera (CO) geschaffene, von der bakteriellen Resistenz inspirierte, Plattform zeigt, wie sehr die Welt miteinander verbunden ist – von der mikroskopisch kleinen Biowelt bis zum gigantischen Globus Erde.
Wie ist Gewalt zur Normalität geworden? Und wie können wir mit neuen Gewaltparadigmen umgehen? Diese Fragen stellt sich das Domestic Data Streamers Studio (ES) mit "730 hours of Violence" indem es den Betrachter:innen mit multimedialen Installationen vor Augen führt, wie sich Gewalt auf der Grundlage von Technologie, Kapitalismus und neuen urbanen Lebensstilen entfalten konnte. "Have you seen her?" von Dora Ytzell Bartilotti (MX) wiederum, strebt eine poetische Geste an – indem unter anderem mit einer von Audioaufnahmen umrahmten Textilskulptur mexikanischer Frauen gedacht wird, die Opfer eines gewaltsamen Verschwindens wurden.
Virtuelle Kunstschau
Auch Künstler:innen, denen ein Engagement für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung nicht oder unter großer Bedrohung möglich ist, sollen bei der Ars Electronica vor den Vorhang geholt werden. Mit dem Open Call "State of the ART(ist)" wurde eine virtuelle Kunsthalle erschaffen, die in einem sicheren Rahmen die Entfaltung künstlerischer Freiheiten ermöglicht alle 357 eingereichten Projekte aus 40 Ländern online für ein globales Publikum sichtbar macht.
Björn Geldhof, künstlerischer Leiter des PinchukArtCentre in Kiew, Boris Magrini, Kurator am HEK in Basel und Marita Muukkonen, Mitbegründerin und Co-Direktorin von Artists at Risk aus Finnland bildeten die Jury, die elf Arbeiten auswählte, die im Rahmen einer virtuellen Kunstschau präsentiert werden. "Artists at Risk (AR) begrüßt die Aktion State of ART(ist), die von dem Wunsch getragen war, sich mit ukrainischen Künstler:innen zu solidarisieren. Es ist wichtig, dass dieser Aufruf auf alle zum Schweigen gebrachten und bedrohten Künstler:innen weltweit ausgeweitet wurde," sagt Muukkonen. Sie betont, dass die Ars Electronica noch nie eine solche Welle der Solidarität mit bedrohten Künstler:innen erlebt hat wie nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und fordert ähnliche Solidarität für alle Kunstschaffenden, die täglich ihr Leben riskieren, um gegen totalitäre Regierungen und für künstlerische Freiheit, Menschenrechte und Umweltrechte einzutreten.
Das sind die elf State of the ART(ist) Sieger 2022:
https://ars.electronica.art/stateoftheartist/en/winners/