Ein Cast, der aus "Native Americans" besteht: Der Film "Prey" macht Schluss mit Stereotypen.

Foto: Constantin Film

Die Themen Repräsentation und kulturelle Aneignung sind derzeit in aller Munde. Debattenleitend war dabei der Kinderfilm Der junge Häuptling Winnetou und die Entscheidung des Ravensburger Verlags, nach heftiger Kritik Merchandiseprodukte zum Film zurückzuziehen. Inmitten der verhärteten Fronten zwischen denjenigen, die für mehr Sensibilität im Umgang mit Stereotypen eintreten, und den anderen, die an "ihren" Kindheitshelden festhalten, stellt sich die Frage, wie man mit kultureller Repräsentation im Film umgehen kann – und welche Lösungsansätze es anderswo gibt.

Die simple Emanzipationsgeschichte des jungen Häuptlings Winnetou gleicht einem anderen Film, der im August auf Disney+ erschien: Prey, einem Predator-Sequel, das im 17. Jahrhundert im Siedlungsgebiet der Komantschen angesiedelt ist. Beides sind Genrefilme, beide folgen brav den jeweiligen Konventionen ohne narrative Überraschungen. Der junge Häuptling Winnetou ist eine an Karl May und Huck Finn angelehnte Abenteuergeschichte im Fantasieland "Wilder Westen".

Prey erzählt von der jungen Komantschin Naru im Kampf gegen das außerirdische Fantasiewesen Predator. Der entscheidende Unterschied liegt im "World-Building": der Art und Weise, wie mit Repräsentation umgegangen wird. Hier besitzt Prey entscheidende Vorteile.

Respektvolle Repräsentation

Als US-Produktion ist es dem Film möglich, nach dem Prinzip der diversifizierten Besetzung zu verfahren. Dieses reformiert seit einiger Zeit die Produktionslandschaften Nordamerikas. Sofern es sich um eine authentische Geschichte über ein bestimmtes Milieu handelt, soll versucht werden, Filmteam und Besetzung so zu wählen, dass sie Teil der porträtierten Milieus sind.

Wenn eine Geschichte indigener Stämme erzählt wird, ist es mittlerweile Standard, dass sie mit Darstellern indigener Herkunft besetzt wird, um "Redfacing" zu vermeiden. Zudem soll – falls die Produktion nicht ohnehin von Vertretern dieser Gruppen übernommen wird – eine qualifizierte Beratungsperson beteiligt sein, um eine respektvolle Repräsentation zu gewährleisten.

Prey wurde in US-Medien als geglücktes Beispiel gefeiert. Cast und Team bestehen zum Großteil aus Native Americans, wobei insbesondere die Hauptdarstellerin Amber Midthunder als agile Heldin Naru hervorsticht. Der Film versucht abseits der Actionszenen ein "authentisches" Bild des Komantschenstammes im 17. Jahrhundert zu zeigen. Das offenbar auch: Frauen wie Naru kümmern sich um Haus, Herd und die medizinische Versorgung des Stammes. Männer wie ihr Bruder Taabe dürfen Helden spielen.

Eine Art Artenforscher

Die Geschichte weist jedoch auch über ihren Entstehungskontext hinaus. Deshalb darf Naru ihrer Rolle entwachsen und sich im Aufeinandertreffen mit dem "Alien" Predator, der weniger als Killer denn als Artenforscher auftritt, emanzipieren. Der junge Häuptling Winnetou basiert auf den Figuren Karl Mays sowie auf einer Musicalvorlage – kurz, es ist "Indianer-Folklore" für Kinder. Gedreht in feinster Euro-Western-Manier in Andalusien, wird ein idealisiertes Bild des Apachenstammes gezeigt; doch auch dessen Probleme – das Ausbleiben der Büffelherde, der Konflikt mit den Weißen – spielen eine Rolle.

Das angerissene historische Bewusstsein bewegt sich im weichgespülten Rahmen deutscher Kinderfilmproduktionen, deren Charaktere auf Typen zurechtgestutzt sind. Von deren Bildern ist der Instagramfilter nicht mehr wegzudenken. Der junge Häuptling Winnetou formuliert erst gar nicht den Anspruch, ein komplexes Bild zu zeichnen. Der Film bewegt sich komfortabel in den Fantasiegefilden von May und Co.

Altbackene Stereotype

Unbedacht werden altbackene Stereotypen bedient – und damit ist nicht nur die Darstellung der "edlen Wilden" gemeint, sondern auch die des "Tante Todd" genannten Bösewichts, der einer transfeindlichen Abziehfigur gleicht. Aufgrund der offensichtlichen Naivität des Films darf man sich nicht darüber wundern, wie blauäugig das Filmteam auf Kritik reagierte.

Weder Prey noch Hollywood machen alles richtig. Doch in Nordamerika wurde wenigstens begonnen, Native Americans ein Mitgestaltungsrecht einzuräumen. Das ändert das Bewusstsein, von wem und vor allem wie Geschichten erzählt werden können. Neben dem wohlmeinenden Prey sticht hier vor allem Reservation Dogs von Sterlin Harjo und Taika Waititi hervor, eine Serie, die das aktuelle Leben in einem Reservat Oklahomas komödiantisch verhandelt.

Sorge um Ehrlichkeit

Erst jüngst hat sich die Oscar Academy bei Sacheen Littlefeather dafür entschuldigt, dass Letztere bei der Oscar-Vergabe 1973 ausgebuht wurde, weil sie auf die Ungleichbehandlung von Native Americans hinwies. Wenn man eines aus der derzeitigen Produktionspraxis in Nordamerika lernen kann, dann ist es der Versuch, jene miteinzubeziehen, über die erzählt wird. Trotz der aufgeheizten Polemik hat die Winnetou-Debatte gezeigt, dass es auch in Deutschland und Österreich möglich ist, den Dialog mit Vertretern von (und Expertinnen in) indigener Kultur zu suchen, um ehrlichere Filme zu machen. (Valerie Dirk, 2.9.2022)