Ein Interrail-Tourist aus dem Weltraum bei einem Zwischenstopp in Wien, Ed Sheeran.

Foto: APA/Roland Schlager

Ed Sheeran mag zwar ausschauen wie ein klassischer, durch die lange Reise schon etwas zerzauster Rucksacktourist. Dem ist im Hostel am Lerchenfelder Gürtel gerade die letzte frische Wäsche ausgegangen, weshalb er jetzt in einem grauslichen Vienna-T-Shirt aus dem Souvenirshop herumrennen muss. Dennoch wird der 31-jährige Brite im Wiener Praterstadion mit La-Ola-Wellen und von 65.000 Kehlen mit dem Herunterzählen des Countdowns begrüßt, als komme Superman wieder einmal auf Besuch zu seinen Zieheltern auf der Erde.

Ed Sheeran füllt also als Interrailer und mit einer Frisur, wo die Mutter früher sagte, jetzt nimm halt einmal einen Kamm in die Hand, Bub, am Donnerstag und am Freitag wie zuvor nur Helene Fischer zwei Mal das Wiener Ernst-Happel-Stadion. Er ist auf einem in der Rasenmitte des Stadions aufgebauten Weltraumflughafen gelandet, der mit sechs Sendetürmen das Konzert nur einige hundert Lichtjahre zeitversetzt in den Weltraum überträgt. Auf riesigen an den Türmen hängenden LED-Schirmen in Form von Gitarrenplektren wird Eds Gesang im Close-up dem doch auch recht weit oben hinten sitzenden Publikum im Prater nähergebracht.

Geh hinaus und lebe

Apropos Eltern: Gleich zu Beginn erzählt uns Ed Sheeran solo auf der Rundbühne in der Stadionmitte, nur begleitet von ein wenig die Kindergartenlieder schrummender Lagerfeuergitarre und ein wenig Bandunterstützung, von den Freuden, aber auch Pflichten des Erziehungsberechtigtendaseins ("I have grown up, I am a father now ..."). Und obwohl er laut Songtext natürlich gemeinsam mit seinem Glückshormon-Haushalt schon bessere Tage gesehen hat, sitzt dann halt doch noch immer eine totale Crazyness in ihm, die besagt:

Ed, du musst auch ein bisschen auf dich selbst achten und nicht immer nur mit deinen zwei kleinen Schnulzenputzis Lyra Antarctica Seaborn und Jupiter Seaborn Sheeran daheim in England dutzidutzi machen oder ihnen ein schönes gesundes Abendmahl zubereiten. Pack deinen Rucksack, geh hinaus, geh auf Tour, fahr mit Zügen oder flieg in Flugzeugen, schlaf in Hostel-, pardon, Hotelzimmern, spiel Gitarre, lebe! Bloß nicht erwachsen werden! Jung bleiben! Aber morgen schon auch wieder ein bisserl brav sein.

Das ist eine gute Botschaft. Sie stößt im Stadion auf keinerlei Widerstand. Wer Ed Sheeran nicht kennt: Jedes Mal, wenn man auf Ö3 ein schönes Lied hört, das man nicht kennt und dann auch gleich wieder vergisst, das Lied ist von Ed Sheeran. Er ist der James Blunt für die Massen, der hemdsärmelige Pop-Titan, der Meister des Mainstreams mit einer Vergangenheit als Pubmusiker. Klar darf man im Wirtshaus nicht komplizierte progressive Rockstücke, politische Kampflieder oder Minimal Techno auf der Wanderklampfe spielen. Die Leute haben Durst und wollen nicht gestört, der Sänger nicht getötet werden.

Liebe ist die größte Kraft

Textlich gestaltet der Brite seine Lieder deshalb gern so wie Lyrikbeiträge für das katholische Pfarrblatt. Liebe ist ohnehin die größte Kraft, die alles schafft. Also warum nicht gleich das Hauptaugenmerk darauf richten? Wie er auf der Bühne erklärt, ist er damit vom Singen in Pubs vor keinen, dann fünf, dann 20 Zuhörern über einen Nachmittagsauftritt vor 200 Leuten beim Frequency-Festival 2012 in St. Pölten nun in den Stadien angekommen. Alle von Beyoncé und Rihanna bis zu Justin Bieber, dem unvermeidlichen Elton John und dem Pokémon-Spiel wollen mit ihm singen. Ed Sheeran macht das gern. Er hat 150 Millionen Tonträger verkauft. Nächstes Jahr wird er mit dem Geld Ö3 schnupfen.

Im Ernst-Happel-Stadion geht es 23 Lieder lang freundlich, eingängig und ein wenig gar ohne Ecken und Kanten weiter. Auf der drehbaren Bühne erklärt Ed Sheeran für Konzertneulinge, wie seine Loopstation funktioniert, mit der er eine ganze Band wirklich sehr eindrucksvoll mittels Live-Sampling ersetzt. Eine tatsächlich aus Menschen vom Planeten Erde bestehende Band darf manchmal trotzdem mitspielen. Die Musiker sind allerdings nicht in der Bühnenmitte positioniert, sondern unter den Sendetürmen am Rand. Die Superpower-Strahlung Ed Sheerans würde sie umbringen. Manchmal spuckt die Rundbühne auch Feuer und Raketen.

Alle Hits, die man von Ö3 kennt, also nicht kennt, etwa Shivers, Shape of You, The A Team, Sing, Afterglow, Perfect oder das für Justin Bieber geschriebene Love Yourself, sind dabei. Ed Sheeran covert sogar andere Musiker. No Diggity von Blackstreet und Dr. Dre von 1996 kommt seiner Loopstation wunderbar entgegen. Am Ende ist es dann aber bei aller Lieblichkeit und Nettigkeit auf und vor der Bühne nach zwei Stunden Balladenhagel und Wohlfühlpop genug. Ed Sheeran erscheint im roten ÖFB-Dress und verabschiedet sich bis zum Konzert am Freitag an selber Stelle. Man möchte jetzt etwas sehr Böses tun wie Zeitungen aus den Sonntagstaschen stehlen oder Taschentücher auf den Gehsteig fallen lassen. Einfach so. Living la vida loca. (Christian Schachinger, 2.9.2022)