Seit 1991 ist Dirigent Walter Kobéra Leiter der Neuen Oper Wien.

Foto: APA/NEUE OPER WIEN/ARMIN BARDEL

Die Neue Oper Wien startet am 12. September mit Jörg Widmanns Musiktheater Das Gesicht im Spiegel in die neue Saison. Jener, der im Museumsquartier für die musikalische Gestaltung zuständig ist, biegt dabei allerdings langsam in den Spätherbst seiner Rolle als Leiter dieser freien Truppe ein. Und mit ihm, dem Dirigenten Walter Kobéra, droht auch die Neue Oper Wien selbst begraben zu werden, was tatsächlich eine Lücke hinterlassen würde.

Seit 1993 versorgt die Neue Oper Wien die Szene mit Uraufführungen, Erstaufführungen und Werken des 20. Jahrhunderts, "die zu Unrecht aus den Spielplänen der großen Häuser verschwunden waren", so Kobéra. 2019 gab man etwa Angels in America von Péter Eötvös. Kooperationen ließen die Gruppe auch zum Partner der Bregenzer Festspiele (Bernhard Langs Reigen), der Wiener Festwochen und internationaler Player werden.

Dass Kobéra aufhören will, hängt mit dem Jahr 2021 zusammen. Damals attestierte die Wiener Theaterjury der Stadt Wien etablierten Operngruppen wie der Neuen Oper Wien unter anderem eine "besorgniserregende Tendenz zur Stagnation". Man strich mit Zustimmung der Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler in der Folge die Vier-Jahres-Förderungen (2022 bis 2025), die der Neuen Oper Wien 460.000 Euro jährlich beschert hatte. Kaup-Hasler federte diese Entscheidung ab.

Kränkendes Abschiedsgeschenk

Kobéras plötzlich verzichtbar gewordene Gruppe bekam immerhin wegen fortgeschrittener Projektplanungen eine Finanzierung für die Jahre 2022 und 2023. Es sollte jedoch ein Abschiedsgeschenk sein: "Die Bemerkung, ‚das wäre doch ein schöner Abschluss Ihrer dann 30-jährigen Direktion‘, hat mich im ersten Augenblick genauso getroffen wie die Kränkung des vorherigen Endes der Förderung", erzählt Dirigent Kobéra.

Mittlerweile ist das üble Gefühl dem Plan gewichen, die Gruppe nicht untergehen zu lassen. Schließlich "steckt in ihr weit mehr als meine Person", so Kobéra. Es gebe Menschen, die mit frischen Ideen die Neue Oper Wien – quasi als Trademark – fortführen können. Kobéra hofft, dass "eine von der Politik eingesetzte Fachkommission eine vielleicht objektivere Antwort geben wird", welche Funktion die Gruppe im Musiktheaterbiotop der Stadt erfüllen könnte.

Nun, es gäbe tatsächlich zu tun. Da die großen Häuser die klassische Moderne und auftretende Neuheiten nicht gründlich abdecken können, gibt es Bedarf an Präsentation ganzer Generationen von anspruchsvollen Werken. Zwischen Alban Bergs Wozzeck an der Wiener Staatsoper und kleineren, spannenden Formaten, die etwa bei den kommenden Musiktheatertagen (ab 14. 9.) zu sehen sein werden, braucht es Raum für die Repertoirepflege des 20. und 21. Jahrhunderts und die musiktheatralischen Erörterung brisanter Themen. Jörg Widmanns Das Gesicht im Spiegel (nach einem Libretto von Roland Schimmelpfennig) ist ein gutes Beispiel. Anhand einer Klone produzierenden Biotechfirma werden Mechanismen des freien Marktes analysiert, der ja, betrachtet man etwa die Energiepreise, gewisse Sorgen bereitet. (Ljubiša Tošic, 7.9.2022)