Das ist wahre Technikbegeisterung: "SH4DOW", die erste Theaterperformance mit einer KI als Protagonistin, wird bis zum Samstag bei der Ars Electronica in der Kepler Hall zu sehen sein.

Foto: Ars Electronica

Nicht sehr nett verhält sich die Wirklichkeit zur Ars Electronica. Eingestiegen ist das Linzer Festival 1979, als die digitale Weltrevolution ausbrach, im Glauben, am Computerwesen würde die Menschheit genesen. Heute hängen wir alle am Tropf dieser Technologie, deren Segen immer gefährlichere Nebenwirkungen zeigt.

Die elektronische Globalisierung sorgt unter anderem für Verbreitung von Hass und Radikalismus durch soziale Medien, Überwachung, Cyberwar sowie – Stichwort China – die Umsetzung totalitärer Politikformen. Mit ihr sind darüber hinaus Datenraub, Phishing, Ausbeutung von Ressourcen oder Energieverschwendung wie bei den Kryptowährungen und NFTs gekommen.

Unter diesen beachtlichen Misslichkeiten windet sich die Ars seit einigen Jahren unter Schmerzen. Man will nicht unkritisch sein, aber vor allem halt das Positive an der Technologie hervorstreichen: die kreativen Potenziale, den Nutzen für die Gesellschaft. So auch wieder in der aktuellen Ausgabe.

Jeff and Elon left the planet

Diese deutet allerdings unter dem Motto "Welcome to Planet B: A different life is possible. But how?" bereits zarte kritische Ironie gegenüber den technologischen heiligen Kühen an. Das Bildmotiv zur Bewerbung des Festivals stellt Julie Andrews dar, die aus dem Musical Sound of Music von 1965 in den heute ausgetrockneten Aralsee gebeamt und durch eine VR-Brille blind für ihre traurige Umgebung gemacht ist. Im Hintergrund startet eine Rakete, daneben steht in einer Sprechblase die Bemerkung: "Jeff and Elon just left the planet."

In der Wahl ihrer zentralen Festivallocations konzentriert sich die Ars immer mehr auf den Campus der Johannes-Kepler-Uni (JKU), der auch eine mehrwöchige "Festival University" für rund 200 Studierende beherbergt. Jetzt ist die jährliche Ausstellung Cyberarts mit honorierten Werken des Wettbewerbs Prix Ars Electronica vom OÖ Kulturquartier in ein Gebäude der JKU übersiedelt. Dort schließt sie sich mit der Starts-Prize-Schau für Projekte, die Wissenschaft und Technologie mit Kunst verbinden, sowie einer kreativindustriell ausgerichteten Präsentation des Linz Institute of Technology (LIT) zusammen.

Mikroplastik und Bergbau

Ebenfalls auf dem JKU-Campus untergebracht ist die Themenschau Studio(dys)Topia – At the Peak of Humankind. Hier geht es auch um einige der letalen Schäden, die wir gerade unseren Lebensräumen zufügen. Thematisiert werden unter anderem die Einlagerung von Mikroplastik in die Natur, die Auswirkungen von Bergbau auf Ökosysteme oder die Abnahme von biologischer und kultureller Diversität.

Hier wie in allen anderen Ausstellungen wird deutlich, wie sehr sich die Ars Electronica auf zweckgebundene digitale Werke konzentriert: vor allem auf dokumentarische, aktivistische und kreativindustriell verwertbare Kunst. Chefkurator Martin Honzik legt den Weg der Ars "vom Kunstwerk zum Werk, das empowert", an und fragt: "Ist es wichtig, ob am Ende ein Kunstwerk im traditionellen Sinn herauskommt?" In einer offenen Gesellschaft ist Kunst traditionell nicht zweckgebunden. Wie wichtig ist es also, dass freie Kunst ebenso zur liberalen Demokratie gehört wie freie Wahlen oder Meinungsfreiheit?

Engagement für die Umwelt

Generell ist die Ars Electronica ein großer Pool für Debatten und Auseinandersetzungen. Man trägt gesellschaftliches Engagement und zunehmend Bewusstsein für Umweltfragen vor sich her: Einen Planeten B für alle Menschen wird es ja ganz sicher nicht geben. Das auch diesmal wieder überbordende Festival hat potenziell seine große Zukunft noch vor sich, wenn es seine Thematiken der Realität anpasst: Wie mit der gigantischen CO2-Schleuder der digitalen Branche umgehen, mit ihrer Stromfresssucht und noch dazu mit den eingangs erwähnten Nebenwirkungen?

Apropos "Studio(dys)Topia": Wie ist zu verhindern, dass die große Blase der sozialen Medien zu einer zwangsneurotischen Hölle wird, wie sie Dave Eggers bereits 2013 in seinem Buch The Circle und jüngst weiter in dessen Fortsetzung The Every schildert? Den richtig harten Fragen muss sich das Festival erst stellen, wenn es nicht im Weichspüler naiver Technikbegeisterung versinken will. (Helmut Ploebst, 8.9.2022)